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Who are you?

‚Who are YOU?‘ said the Caterpillar.
This was not an encouraging opening for a conversation. Alice replied, rather shyly, ‚I—I hardly know, sir, just at present—at least I know who I WAS when I got up this morning, but I think I must have been changed several times since then.‘
‚What do you mean by that?‘ said the Caterpillar sternly. ‚Explain yourself!‘
‚I can’t explain MYSELF, I’m afraid, sir‘ said Alice, ‚because I’m not myself, you see.‘
‚I don’t see,‘ said the Caterpillar.
‚I’m afraid I can’t put it more clearly,‘ Alice replied very politely, ‚for I can’t understand it myself to begin with; and being so many different sizes in a day is very confusing.‘
‚It isn’t,‘ said the Caterpillar.
‚Well, perhaps you haven’t found it so yet,‘ said Alice; ‚but when you have to turn into a chrysalis—you will some day, you know—and then after that into a butterfly, I should think you’ll feel it a little queer, won’t you?‘
‚Not a bit,‘ said the Caterpillar.
‚Well, perhaps your feelings may be different,‘ said Alice; ‚all I know is, it would feel very queer to ME.‘
‚You!‘ said the Caterpillar contemptuously. ‚Who are YOU?‘

Alice’s Adventures in Wonderland by Lewis Carroll

Ich habe das ja schon öfter erlebt. Menschen, die so furchtbar unauthentisch sind, dass man sich fragt, wie sie die kognitive Dissonanz aushalten. Erst kürzlich fiel mir wieder eine Schülerin auf, die schon den anderen Schülern dadurch aufgefallen ist, dass sie besonders oft und übermäßig in tiefem amerikanischen Akzent Englisch im Alltag spricht. Natürlich war sie schon in den „States“ und das ist alles total toll. ((Äh, nein. Die USA sind beim besten Willen nicht der beste Ort zum Leben. Selbst wenn man ein Auskommen hat, ist das Land unangenehmer als die meisten vergleichbaren Länder der westlichen Welt.)) Das hat die junge Dame gratis, die spannende Frage für mich ist: warum trägt sie das so vor sich her? Welche romantische Idee verbindet sie damit, oder welches Trauma hat sie hier? Was bringt einen dazu möglichst fix die eigene Sozialisation wegzuwerfen, und sich eine fremde anzueignen.

Eine Erklärung könnte sein, dass man etwas sein möchte. Das Phänomen, dass das Individuum übersteigert wurde ist ja immer noch in der Gesellschaft verhaftet. Das egozentrische Ich, das als komplett eigenständig und einzigartig verstanden wird, ist für viele die einzige Rettung die persönliche Relevanz für die Welt anzuerkennen. Es geht also darum, dass man sich sagt, dass man jemand ist, damit man jemand ist. Anstatt jemand zu sein, erzählt man sich, dass man jemand ist. Die Menschen, die jemand sind, haben nämlich genug damit zu tun, dieser zu sein. Das Phänomen anderen sagen zu müssen, wer und wie man ist, zeigt dann auch auf, woran es für viele Menschen krankt: eine positive Eigendefinition. Weniger quatschen und mehr soziale Bestärkung in dem was man ist.

Kann vor der Postmoderne der Vorwurf erhoben werden, dass die Gesellschaft in den Einzelnen hineinregiert und ihm vorschreibt wie seine Identität zu strukturieren sei ((Ist ja teilweise immer noch so. Lehrer sollen auf eine bestimmte Art sein, sexuelle Orientierungen sind eine riesige Debatte, politische Orientierungen waren es immer und die Frage wo sozial bedingte psychische Störungen anfangen rundet das dann ab.)) müssen wir nach der Postmoderne den Vorwurf erheben, dass das Konstrukt des Individuums zu weitaus mehr Problemen führt. Die Individuen müssen sich nun immer sagen, dass sie welche sind. Das geht dann soweit, dass ganze Fernsehsendungen und Medienformate um diese Konstruktion der Person aufgebaut sind. Dort wird dann die Darstellung im Privaten übernommen und in ihrer entlarvenden Wirkung deutlich.

Es wird oft über den Verlust des Individuums geweint, wenn über neue Medien gesprochen wird. Die Frage muss eher sein, ob die neuen Medien nicht nur dabei helfen das Individuum als die Fata Morgana zu zeigen, die sie ist.

Wert sein?

Ich war die Tage unterwegs und irgendwann kommt man auch mal auf die Vorzüge des Lehrerdaseins zu reden und die sind ja nicht ohne. Wir haben geringe Nennarbeitszeiten bei hoher Zahl der Urlaubstage, sind verbeamtet und so weiter. Es ist zwar nicht so einfach, wie der Volksglaube es haben will. ((Um das mal zu präzisieren, man kommt am Ende bei 50 Stunden Wochen raus. Die Ferien sind öfter auch mal nicht frei. Aber ja klar: ich hab vormittags recht und nachmittags frei. Die Arbeiten korrigiert ein magischer Federkiel und Stundenvorbereitungen fallen dir unter der Dusche ein und drucken sich selbst aus.)) Und dann redet man noch über das üppige Gehalt, das man interessanterweise aus zwei Gründen bekommt: erstens man hat ein Hochschulstudium hinter sich und zweitens hat man Verantwortung für mehrere Dutzend Menschen und deren Zukunft. ((Also bei mir derzeit ca. 100 direkt in der 12. Klasse und nochmal so 30 indirekt in der Vorbereitung, dass sie die 12. Klasse überstehen.)) Aber das ist trotzdem immer noch sehr komfortabel.

Ja, aber es kommt halt trotzdem eigenartig. Wir sind als Lehrer halt privilegiert, weniger als man so denkt, aber wir sind es. Und wir tun auch viel diese Schmach auf uns zu ziehen. Wie viele Lehrer kennt man, die weinen, weil sie so viel zu tun haben. Da wünsche auch ich mir, dass sie mal etwas den Ball flach halten. Es ist halt ein Job. Aber selbst wenn ich das so erzähle, mit der mir gegebenen Amüsiertheit über die Abstrusität des Ganzen, beschleicht mich ein schlechtes Gefühl da anzugeben. Die Frage hier ist dann warum? Die meisten Leute mit denen ich rede hätten diesen Beruf ergreifen können und es nicht getan. Der Grund hierfür ist wohl sicher nicht die Vorteile, die man da so weich hat, sondern, dass es ein Beruf ist, den man auch aushalten und können muss. Dir ist es trotzdem unangenehm. Weil man redet nicht über Geld und man erzählt nicht wie gut es einem geht, weil es ja allen immer schlecht geht.

Und damit nehmen wir uns alle unseren Wert, wir nehmen anderen den Wert durch Neid und nehmen uns unseren Wert ((den wir ja auch bezahlt kriegen…)) in dem wir nicht mehr offen darüber reden. Solange man weiß, dass man privilegiert ist, und das ist man als Mensch in der westlichen Welt soundso immer, kann man auch darüber reden. Zu sagen, dass es dir gut geht, beschämt nicht den, dem es schlecht geht. Denn es ist meist nicht seine Schuld. Und wenn es jemand besser geht und dieser dies nicht zum Anlass nimmt dich abzuwerten, dann gönne es ihm. In den meisten Fällen ist er dadurch kein Arschloch geworden. Die Arschlöcher erkennt man nicht an ihrem Gehalt und ihren Vorteilen sondern an ihrem Verhalten und ihrem Umgang mit diesen Vorteilen.