Schlagwort-Archive: soziologisches Kaffeekränzchen

Über Kleidung, Persönlichkeit und Identität

Nachdem ich letztens schon etwas garstig über Authentizität in der Kommunikation geschrieben habe, und wir uns im soziologischen Kaffeekränzchen über Identität unterhalten haben, möchte ich da eine weitere Dimension aufmachen. Wir hatten es auch in der Sendung über Identität, dass das viel mit Kleidung zu tun hat. Und an der Stelle möchte ich mal etwas abtauchen, vor allem auch, weil die Karnevalssaison vor der Tür steht und damit eine zweite Dimension.

Da ich ja der Typ mit den Texten und der Literatur bin, fange ich mit einer meiner Lieblingsstellen aus einem Podcastbuch ever an. Es ist die Podcastversion von Nathan Lowell’s Trader’s Tales in the Age of the Solar Clipper. Im zweiten Buch Half Share, wird der Protagonist Ishmael zu einem Nobelschneider geschleppt, um sich neu einzukleiden. Die ganze Szene ist eher so ein Coming-of-Age Moment und die entscheidende Szene ist die, in der Ishmael in Unterhosen vor dem Spiegel des Schneiders steht und dieser fragt: „Who do you think, you are?“. In der Folge finden sie gemeinsam einen Kleidungsstil, der Ishmael als Person entspricht. ((Hört den Rest der Szene, weil nunja, er ist sehr schön menschlich…)) Das ist der zentrale Punkt, um den sich dieser Text drehen soll.

Kleidung ist eines der hauptsächlichen Zeichen, die wir an die Welt senden und es generiert damit in der Welt einen großes Teil des Bildes, das wir von uns senden wollen, und auf das die anderen Menschen da draußen reagieren. Das bedeutet, dass Kleidung Identität für uns und gegenüber der Welt generiert. Diese Identität ist das Ergebnis einer Sozialisation ((Wir sind überrascht…)) und das bedeutet natürlich auch, dass die Analyse des Kleidungsstils Rückschlüsse auf die Sozialisation und damit die Identität zulässt, auf der das alles aufbaut. Menschen tragen also ihre Einstellungen, Sichtweisen und auch ihre Funktionen am Körper. Letzteres ist natürlich im wirtschaftlichen und beruflichen Kontext klar, und deswegen etwas, über das ich mich mal getrennt auslassen. Menschen sehen also Kleidung und äußerliche Erscheinung als Zeichen ihrer Persönlichkeit und Identität. Ich sehe so aus, wie ich aussehe, weil ich das möchte. Das bedeutet nicht, dass ich nicht Kleidungsstile annehme, die von verschiedenen sozialen Gruppen generiert werden, aber die Wahl obliegt erst einmal mir. Vor allem auch, die Entscheidung, wie sehr ich diese Kleidungsstile adaptiere oder nicht. Ich nehme mich mal als Beispiel. 

Wer mich auf Großveranstaltungen wie dem Congress getroffen hat, weiß, dass ich eigentlich immer in schlapprigen „Goa-Hosen“ rumrenne. Die sind halt total bequem und gleichzeitig ungewöhnlich. Dazu trage ich meist irgendwelche Nerdshirts und eine Jacke im Paganstil oben drüber. ((Wer genauer das genauer wissen will. Es gibt da einen Blogpost. Es fehlt meine Winter- und meine Übergangsjacke, aber ansonsten ist das vollständig.)) Das sind Klamotten, die mir gefallen in denen ich der bin, von dem ich denke, ich bin ich. Bedeutet das, dass ich arabische Kleidungsstile kulturell appropriiere? Nein, allein schon weil dieser Stil der Hose eigentlich auf der ganzen Welt verbreitet war. Sackartige Schnitte sind halt einfach zu gestalten. Es ist halt bequem und nicht normal und das gefällt mir irgendwie. Es ist mehr „ich“ als mich in enge Jeans zu zwängen oder aber Hemden und Unterbauchhosen anzuziehen, die ich nur im Übergrößenhandel shoppen kann. Stattdessen nehme ich die Gestaltung meines Wahrgenommenwerdens in die eigene Hand und zähle öfter mal die Leute, die mich blöde auf der Straße ansehen.

Diese Wahl der eigenen Kleidung ist grundsätzlich von Verkleidungen zu unterscheiden, auch wenn das anscheinend vielen Menschen schwer fällt, die glauben, dass alles was nicht dem modischen Mainstream entspricht eine „Verkleidung“ ist. Dabei funktionieren Verkleidungen nur im Kontrast zu einem „normalen“ Kleidungsverhalten. Ich selbst fühle mich im Anzug zur Abiturfeier verkleidet und obwohl ich etwas dafür tue, dass da immer noch Persönlichkeit durchscheint, finde ich diese Kleidung als überhaupt nicht meinem Bild von mir entsprechend. Dadurch wird eine Verkleidung. Wenn diese Verkleidung mit Kleidung verglichen wird, verwechselt man Identitätsebenen. Bei Verkleidungen wird die eigene Identität durch den Kontrast mit dem hergestellt, dass normalerweise der Identitätsgenerierung dient. Wenn du ein Langweiler in Jeans und Polohemd ist, dann ist das Tragen meiner Klamotten ein Kommentar darüber, dass du immer noch ein Langweiler in einer Goa-Hose bist. Der Kontrast macht Verkleidung wirksam. Erst von aus der Verkleidung die Kleidung wird, dann dreht sich die Identitätsgenerierung um.

Wir sind also, was wir tragen wollen und tragen. Doch wir sind auch, die Person, die sich in anderen Sachen unwohl fühlt. To be who we think we are, has a lot to do with what we wear…

Über Handlungsfähigkeit…

Nachdem es beim letzten Mal um Skills und die Idee ging, dass Inhalte Skills erst wertvoll machen, muss ich auch über eine zweite soziale Dimension reden, die mich da umtreibt. Fähigkeiten und Inhalte sind nämlich leider nur soviel wert, wie sich die einzelne Person zutraut. Und da beobachte ich eine Veränderung in die Richtung, dass immer weniger Leute ihre eigene Handlungsfähigkeit (Agency) und Selbstwirksamkeit in der Welt wahrnehmen. Darauf gestoßen haben mich die Geschichten von Menschen um mich herum, bei denen es sehr viel um Körperbestimmung geht. Fangen wir mal da an, und werden dann irgendwie allgemein.

Es ist dein Körper…

Die Geschichten, die ich hierzu kenne, sind weniger meine eigenen. Ich bin zwar volltätowiert, aber halt auch ein großer weißer hetero- und cis-gelesener Mann. Leute finden mich eigenartig, aber halten generell den Mund. Anders ist das bei meinem weiblichen Umfeld. Da das aber für sich selbst sprechen kann ((Und ja nichts dem Feminismus mehr hilft, als wenn Männer für Frauen sprechen…)), werde ich das nur grob umreißen. Das weibliche Umfeld hat sich nämlich zum einen großflächige Tätowierungen in „unweiblich“ ((Fragt mich, bitte, bitte nicht, was das ist. Es wurde mir berichtet. Ich dachte weiblich sei das mit den Brüsten und der Vulva, und davon gerne auch was optional.)) stechen lassen oder vor der Frage gestanden ((Und die anscheinend im Sinne dieses Textes beantwortet.)), ob es sich ein Piercing stechen lässt. Das führt zu allerlei Einlassungen von außen, die irgendwelche Bilder an das Umfeld herantragen, seien es dezidierte Machtaussagen von Menschen, die glauben, dass romantische Beziehungen Machtbeziehungen sind ((Bitte hören Sie hierzu unser soziologisches Kaffeekränzchen zu Liebe)), oder aber antiquierte Vorstellungen von Schönheit. ((Hören Sie hierzu das passende Kaffeekränzchen über Schönheit.)) Dabei ist natürlich klar, dass entgegen dem gesellschaftlichen Mythos die Person selbst erst einmal Hoheit über ihren Körper hat. Auch, und eigentlich dann insbesondere, wenn sie diese nicht vollständig ausüben kann. Ich habe komische Tattoos und das ist mein Ding. Dasselbe gilt für sexuelle Präferenzen und so weiter. Egal wie sehr konservative Politiker und ähnliche Instanzen da hereinreden wollen, ist es grundsätzlich so, dass der Körper zur Person gehört.

Agency

Nach dem eher dogmatischen Statement geht es jetzt um die Frage, was das denn eigentlich bedeutet. Die Konstruktionsmacht der Person durch die Gesellschaft ist stark und wird immer wieder sozial reproduziert. Dabei geht sehr oft die Handlungsfähigkeit der Person im wahrgenommenen Druck der Gesellschaft unter. Die Konformitätsdrohung münzt sich in der individuellen Erfahrung in Gefühle von Ungeliebtheit und damit soziale Erwünschbarkeit um. Du wirst nur geliebt und bist nur wertvoll, wenn du dich richtig verhältst, also mit dem was du tust nicht den Rahmen dessen verlässt, was allgemein als gutes Verhalten konstruiert wird. Also bitte keine großen Bodymods, bitte über sexuelle Gewalterfahrungen durch Machtkonstruktionen schweigen, bitte immer so tun, als wäre jeder Stress willkommen und soundso kein Problem oder bitte immer perfekte Eltern sein und zwar nach allen sich-widersprechenden Elternratgebern gleichzeitig. Dieser Druck nimmt der einzelnen Person die Möglichkeit im Rahmen ihrer Beziehungen und in Bezug auf sich kompetent und eigenständig zu handeln. Individuelle Handlungsfähigkeit und das Nutzen alle Möglichkeiten, die einer Person zur Verfügung stehen sind aber integral für das Selbsterlebnis als eigenständiges Individuum, und das unbenommen von Sozialisation.

Dieses Phänomen wird mit dem Blick in niedrigere soziale Statusgruppen noch deutlicher. Hier wird ja nicht nur sozialer, sondern auch ökonomischer Konformitätsdruck ausgeübt. Die EmpfängerInnen von ALG II und ähnlichen Transferleistungen müssen sich in ihre Leben und damit ihre Handlungsfähigkeit in einem Maße hineinredenlassen, die vielen modernen Pseudopädagogen bei Kindern sofort die Zornesröte ins Gesicht steigen ließe. Die Unwürdigkeit, die da gegenüber Kindern reklamiert wird, ist dann bei Erwachsenen Menschen, die aus ihrer unabhängigen Handlungsfähigkeit viel Identität ziehen umso schlimmer.

Die sozialen Konstrukte, die benutzt werden um Menschen davon zu überzeugen, dass sie gegenüber sich selbst nicht handlungsfähig sind und keine Selbstwirksamkeit mehr haben, sind zutiefst schädlich und normal.

Und nu?

Hilft eigentlich nur etwas dagegen zu tun. Weil der einfache Ratschlag „Dann mach doch, was du willst.“ ist zwar richtig, aber auch zynisch. Denn Menschen, die immer wieder die Erfahrung gemacht haben, dass ihre eigene Handlungsfähigkeit in Frage gestellt wird, egal wie wohlmeinend das getan wurde ((Ich als Lehrer und total wohlmeinender Mensch muss auch aufpassen, dass ich das nicht tu… Es ist eben nicht einfach.)), trauen sich irgendwann selbst nicht mehr zu das Richtige zu tun, obwohl das nicht existiert. ((Hier kann man dann auch endlich mal von Gaslighting sprechen…)) Also braucht es die wohlmeinende Hilfe von außen, die Menschen immer wieder darauf zurückführt, dass sie ihre Entscheidungen selbst treffen müssen. Man kann eine Meinung äußern, aber diese Meinung als für die andere Person als wichtig oder gar richtig aufzufassen ist übergriffig. Es ist nett zu wissen, was die anderen denken. Das bedeutet nicht, dass das auch nur im geringsten eine Richtlinie ist. 

Jung? Aber sicher!

Wir reden ja regelmäßig, aber letztens hat die Vrouwelin mal wieder in das Netz geschrieben und zwar über aktuelle Jugend. Die trieb uns schon im letzten Podcast um, und Vrouwel geht es um den ganzen Jugendpessimismus, der durch die Gesellschaft schwappt. Die Jugend sei narzisstisch, dumm und verdorben und alles sei ganz schlimm.

Vrouwel weißt schon darauf hin, dass das alles Quatsch und nicht sonderlich neu ist und Christoph meckert zurecht an einem komplett bekloppten Generationenbegriff herum. Ich möchte hier aus der Lehrerperspektive auch etwas dazu geben. Immerhin darf ich mir das öfter ansehen.

Und der Begriff, der für mich derzeit zentral ist, wenn ich über die jungen Erwachsenen nachdenke, die da vor mir sitzen, ist Sicherheit. Sie ist eines der wichtigsten Themen, die immer wieder, auch im Englischunterricht auftauchen. Dabei geht es zum einen darum, wie sich die Schülerinnen und Schüler am besten für eine finanziell und beruflich sichere Zukunft in Stellung bringen können, zum anderen sehr oft um das Gefühl von Sicherheit im schulischen Alltag.

Die finanzielle und berufliche Sicherheit ist wahrscheinlich das offensichtlichste Thema. Dabei werden mir immer wieder die Vorstellungen vermittelt, dass ein sicherer Job besser ist als ein gut bezahlter und dass gute Noten dafür zentral sind, einen solchen Job zu bekommen. Beides ist leider nicht ganz richtig und letzteres hat direkt mit dem Sicherheitsgefühl zu tun. Es hat sich mittlerweile als Erkenntnis durchgesetzt, dass wir in unsicheren Zeiten leben. Die aktuelle Shell-Jugendstudie ((unter anderem zu finden in diesem tollen Text von Stefan Schulz)) sagt, dass es für junge Menschen zentral ist, einen sicheren Job zu haben. Das hat direkt miteinander zu tun. Und weil Regeln sicher sind und die meisten sicheren Jobs viel mit staatlicher Regulation und der alten Welt der sinnlosen Zertifikate zu tun hat. Dabei liegt eine erfolgreiche und sichere berufliche Zukunft eben nicht in irgendwelchen Zertifikaten und Verbeamtungen, sondern in der Fähigkeit, etwas zur Welt beitragen zu können. Dabei braucht es also eine inhaltliche und kognitive Ausstattung, die das Gegenteil davon ist, was an Schulen hinlänglich gute Noten beschert. ((Darüber müssen wir eh mal reden…)) Dabei wird Schule eigentlich nur noch „Spiel“ verstanden. Ich habe dieses Jahr wieder erleben müssen, dass erstaunlich viele Schülerinnen und Schüler glauben, dass das Erfüllen fester Regeln am ehesten zu einem Schulerfolg führt. Das ging soweit, dass es direkt zu Feindseligkeiten gegenüber Lehrkräften führt, wenn die sich nicht an die geheimen Regeln halten. Dabei scheint es wieder um Sicherheit zu gehen. Die Sicherheit, verlässlich gute Noten produzieren zu können, die Sicherheit daheim gut dazustehen und die Sicherheit, dass aus einem etwas wird, weil ja die Noten gut sind.

Dabei ist das alles falschestmöglich. Sicherheit ist eine schlechte Strategie in einer inhärent unsicheren Welt. Stattdessen braucht es Flexibilität und zwar nicht als neoliberales Schlagwort sondern als Grundprinzip der eigenen Ausstattung. Dafür benötigen die jungen Menschen aber Dinge, die ihnen nicht gegeben werden und die sie gefühlt auch nicht möchten: eine eigenständige Identität, eine echte Kompetenz in der Wissensbeschaffung, Auswertung und Interpretation und eine emotionale Stärke, die sie Unsicherheit aushalten lässt. Das alles müsste die Schule und die Eltern ihnen geben, stattdessen bekommen die Jugend Regeln und Ängste serviert und muss sich dann anhören, dass sie zu wenig Mut hat, zu wenig Intelligenz und immer verhätschelt werden muss.

Self-fulfilling prophecies sind halt toll…

Keine Spiele…

Wer uns beim Soziologischen Kaffeekränzchen schon zuhört, der weiß schon, dass das Soziale eher so schwierig ist und zwischen Menschen sehr viel abgeht und es gleichzeitig komplex ist. Die sozialen Medien, die eigentlich gar nicht so sozial sind, haben das nicht leichter gemacht.

Und so fängt dieser Eintrag mit ein paar Erkenntnissen an und mäandert sich in eine Handlungsaufforderung hinein. Bleibt dabei, es kann sich lohnen.

Also, generell neigen soziale Beziehungen dazu, dass Kommunikation in ihnen kommunal definierten Konstrukten entsprechen soll. Ein kommunal definiertes Konstrukt ist ein Stückchen heimlicher Konsens darüber wie eine Person und eine soziale Gruppe über ein bestimmtes soziales Phänomen zu sprechen und bevorzugt auch zu denken hat. Es definiert also, was zu einem Sachverhalt sagbar ist, und wer auf welche Art spruchfähig ist. Das ist natürlich ganz großer Quatsch. In einer sozialen Beziehung sind erst einmal alle Menschen gleich spruchfähig und alles ist sagbar. Die Konsequenzen errechnen sich aber aus den kommunalen Konstrukten, an die sich alle anderen erst einmal implizit halten. Die sozialen Strafen, die für das unhinterfragte Einhalten dieser Konstrukte gezahlt werden, sind aber fast genauso groß wie diejenigen, die es für das Nichteinhalten zu zahlen gibt. Um genau zu sein, sind diese Strafen sogar garantiert, während es bei Nichteinhalten immerhin die Chance geben kann, dass sich etwas an der kommunikativen Landschaft um einen herum ändert. Doch, die kommunalen Konstrukte sind stark und die Leute glauben, dass das Gerümpel, dass ihnen qua Sozialisation ins Hirn gelegt wurde, in ihrem Leben so imperativ sind, dass es sofort an die eigene Identität geht, wenn das Verhalten der Person gegenüber unerwartbar wird. Dabei wäre es eine große emanzipatorische Leistung, wenn diese Menschen die Konstrukte erkennen und reflektieren können und das ist nur die pädagogische Seite. Wichtiger ist noch: es würde viel persönliches Unglück vermeiden. Denn die Erfahrung der konstanten Identitätskrise ist weder sonderlich angenehm noch einem gesunden Leben förderlich.

Das ist jetzt schon eklig, furchtbar und ein Problem, doch es hört da nicht auf. Die Tatsache, dass viele Menschen vieles für unsagbar halten, führt dazu, dass sie versuchen Kommunikation auf impliziten Ebenen zu führen. Dabei muss die Person, die da kommuniziert davon ausgehen, dass ihre Sendung so verstanden wird, wie sie gemeint ist. Da aber implizit kommuniziert wird, kann sich der Sender gar nicht sicher sein, dass der Empfänger das „richtige“ versteht. Das ist schon bei direkter Kommunikation ein großer Spaß, herauszufinden, ob und wie man verstanden wurde. Implizit ist es Gänseblümchensuchen im nächtlichen Minenfeld. Das hält Menschen natürlich nicht auf. Direkte Ansprache ist meist aus Gründen der eigenen als wahr und unumstößlich angenommenen kommunalen Konstrukte nicht möglich, weil es dann ja wieder an die eigene Realität und Identität geht und Verwundbarkeit ja die Katastrophe an sich ist. Also wird versucht implizit über diese kommunalen Konstrukte zu kommunizieren. Da wird es halt spaßig, wenn die andere Person die Konstrukte nicht teilt, oder aber kennt und dann ignoriert. Die Peinlichkeit des ganzen Verfahrens ist also greifbar. Man könnte auch sagen: das sind alles Spiele, die gespielt werden, damit Menschen ihre eigene Welt in Konsistenz halten. Kognitive Dissonanz ist halt schrecklich und wenn man im Rahmen der eigenen kommunalen Konstrukte kommunikativ handelt, dann glaubt man, dass das auch die passende Wirkung hat. Nichts ist natürlich weiter von der Wahrheit entfernt. Direkte Kommunikation ist die einzige, die uns am Ende die Möglichkeit des Verstandenwerdens ermöglicht. Aber diese bürgt halt auch die Möglichkeit, dass man selbst verstehen muss, dass die eigene Welt und die eigenen Vorstellungen nicht kongruent mit der Welt und der Realität der anderen Menschen um einen ist und im Zweifel vielleicht nicht mit der von Menschen, die einem etwas bedeuten. Im Ernstfall können da halt komplette Lebenslügen auffliegen und das ist furchtbar. Also, schön indirekt kommunizieren und hoffen, dass die Welt schon mitkriegt was gemeint ist. Oder anders: schön Spiele spielen.

Und damit sind wir an der Stelle, wo wir von der Analyse zur Handlungsaufforderung kommen. Liebe Leserschaft, versucht nicht Spiele zu spielen. Ich selbst habe langsam keine Lust mehr darauf und ich kann verstehen, warum es vielen anderen Menschen auch so geht. Wir haben das alle nicht nötig, und wenn wir glauben, dass wir es nötig haben, sagt das doch auch etwas und das ist nicht charmant.

Also… keine Spiele. Wir haben besseres zu tun…

Projektupdate – neuer Podcast

Das Jahr 2017 schreitet voran und damit auch die Projekte. Das neuste zeigt die alte Regel, dass wenn du ein Mikrofon daheim hast, die Podcasts sich von allein entwickeln. Ihr erinnert euch daran, dass es hier soziologisch angehauchte Texte über Politik und Welt gibt. Ein paar dieser Texte führten zum soziologischen Kaffeekränzchen, in dem ich mit Jennifer und Christoph nun einmal im Monat über ein soziales Thema rede. Wir haben das Ziel verständlich, kontrovers, aber freundlich zu sein.

Wenn ihr zuhören wollt geht zum Soziologischen Kaffeekränzchen.

Moralisches Handeln

Dieser Artikel lag schon länger in meiner virtuellen Schublade und jetzt ergab sich dank einer Twitterunterhaltung mit dem Sozioblogen die Möglichkeit ihn zu verwenden und in einen Kontext zu setzen und damit zu einem Beitrag des soziologischen Kaffeekränzchen zu machen. Doch, vorne anfangen ist ja toll.

Eine der alten Fragen der Philosophie ist die Frage nach dem moralischen Handeln und die Frage, welche Art von Handlungen gut und böse sind. Dabei ist neben der generellen Definition des Begriffspaares, aber auch noch wichtig, welche Dimensionen überhaupt eine Handlung beeinflussen. Doch eines nach dem anderen. Deswegen geht es jetzt erst einmal und die großen Dichotomien im Bereich Moral.

Gut und Böse – Richtig und Falsch

Wenn über Moral geredet wird, dann geht es aus der Sicht vieler Menschen immer um gut und böse. Das Problem damit ist, dass nirgendwo festgelegt ist, was dem jeweiligen Begriff zuzuordnen ist. Und weil wir uns alle Märchen darüber erzählen, wie unsere Welt aussieht, ist immer das, was wir selbst denken gut und das was andere anders denken böse. Das diese Sicht auf die eigene Weltkonstruktion menschlich, aber auch für Diskurs schwierig ist, wurde an diesem virtuellen Kaffeetisch schon gut dargestellt.

Anders ist es mit der Frage nach richtig und falsch. Die Frage ob eine Handlung moralisch richtig oder falsch ist, lässt sich anhand von Kriterien treffen, die nicht die Wertung der anderen Person, die bei gut und böse immanent sind, sondern die Handlung in den Mittelpunkt stellen. Es ist also möglich mit anderen Personen unabhängig von ihrer Persönlichkeit über die moralische Richtigkeit der Handlung zu sprechen. Deswegen ist richtig und falsch nicht nur die bessere Richtschnur für das eigene Handeln, sondern auch die Kategorie mit der und über die sich Diskurs gestalten lässt.

Gut und Böse sind Fremdzuschreibungen, während richtig und falsch Analysekategorien sein können. Damit ist natürlich die Frage offen, wie jetzt eine Handlung beurteilt werden kann.

Gründe – Intention – Ergebnis

Wenn eine Handlung moralisch bewertet werden soll, dann müssen die drei oben genannten Ebenen betrachtet werden. Diese sind miteinander verbunden, wobei aus der Sicht vieler Menschen das Ergebnis natürlich immer eine hohes Gewicht hat, obwohl diese Analyseform die Trügerischste ist. Nur weil einem das Ergebnis gefällt, heißt das nicht, dass die Handlung gutzuheißen ist. Denn auch die Gründe und die Absicht, die mit einer Handlung verbunden sind, bestimmen, ob diese tatsächlich moralisch richtig oder falsch ist. Die Folterung eines Kriminellen zur Rettung eines Kindes, ist falsch, egal wie sehr das Kind überlebt. Die Ermordung eines Diktators ist moralisch genauso falsch, wie die Bombardierung von Terroristen. Alle diese Handlungen haben gemein, dass die Ergebnisse positiv sein können, ((Und es langfristig dann eben aufgrund ihrer Mittel doch ihre positive Wirkung nicht entfalten.)) aber die Begründungen und Absichten, die dahinter stehen das Ergebnis entwerten.

Deswegen ist es eben nicht möglich aus den falschen Gründen das Richtige zu tun. Die falschen Gründe machen es schon falsch.

Fazit

Und damit komme ich zurück zum Impuls für diesen Text. Moral als Selbstzuschreibung ist tatsächlich schädlich für jeden Diskurs, weil es hier nur darum geht, dass jede beteiligte Person sich selbst die höhere Position zuschreiben will. Was aber dringend Thema im Diskurs sein sollte ist die Bewertung von Handlungen und die Prämissen nach denen das getan werden soll. Denn über Werte wird viel geredet, wenn es darum geht die Person gegenüber abzuwerten, aber wenig wenn es darum geht, welche überhaupt das gesellschaftliche und persönliche Handeln leiten sollten und welche Kriterien diesen Werten zugrundeliegen.

Works for Me – Diskurs und Identität

So, wir kommen zum soziologischen Kaffekränzchen zurück. Es gibt da jetzt einen Tag für. Nachdem ich mich das letzte Mal auf die Erklärung der Schwierigkeiten beim finden von Diskursen bezogen haben, hat die Vrouwelin das einmal zusammengefasst und so geendet:

Und doch höre und lese ich Stimmen, die darauf hinweisen, dass es mit den rechten Stimmen in der heutigen Gesellschaft und Politiklandschaft eh keinen Diskurs geben kann, dass es heißt, wir oder die. Ich befürchte, dass das der momentanen Realität deutlich näher kommt. Mit rechts-extremistischem Gedankengut ist nicht zu verhandeln, weil es menschenfeindlich ist. Und dabei ist es egal, wie weit diese Einstellungen in die „Mitte“ eingesickert sind, sie werden dadurch nicht verhandelbarer. Doch wenn mit den Einstellungen von dreißig bis teilweise fast siebzig Prozent der Bevölkerung nicht mehr zu verhandeln ist? Wie funktioniert Demokratie wenn große Teile der Bevölkerung sie nicht mehr wollen? Weil sie zum Teil nicht wissen, wie es geht?

Als ich das so las, musste ich an einen weiteren Impuls denken, der mir die Tage gegeben wurde. Nämlich die Frage nach der Identität. Die grundlegende Idee „wir oder die“ widerstrebt mir nämlich zutiefst, kann eine Gesellschaft doch nur funktioniert, wenn ihre Mitglieder ein grundlegendes „wir gemeinsam“ Gefühl haben. Und so kommt es auch, dass das Motto des diesjährigen Chaos Communication Congress in die Überschrift geschlichen hat. Auch dieser beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern gesellschaftliche Probleme nicht auch gesellschaftlich gelöst werden müssen. Works for me ist dabei die Aussage, dass man sich ja nicht um Probleme kümmern muss, wenn sie einen selbst nicht betreffen. Das funktioniert nur für gesellschaftliche Probleme nicht. Bringen wir jetzt die beiden Linien das erste Mal zusammen, dann scheint das wichtigste Problem, das der Identität zu sein. Doch, wo kommt eigentlich unsere Identität her?

Identität ist eine Konstruktion, wie alles das wir so in unserem Kopf haben. Sie ist ein Ergebnis von Kommunikation mit unserer Umwelt und etwas, das wir für zutiefst für wahr halten, während es gleichzeitig eine der größten Lügen ist. ((Igitt wie philosophisch…)) Menschen sind also das, was sie denken, das sie sind. Diese Identität wird aber auf zwei Arten während unserer andauernden Sozialisation generiert. Die übliche Variante funktioniert durch negative Selbstzuschreibung. Das bedeutet, dass Identität darüber generiert wird, dass die Person ein außen wahrnimmt und sich von diesem Außen abgrenzt. Daraus wird dann gedacht, dass sich auch ein definiertes Innen also eine definierte Identität ergibt. Das ist aber nicht wahr. Die unübliche Variante, der positiven Selbstzuschreibung generiert eine Identität, in dem die Person selbst sagt, wer sie ist und warum. Damit ist die Identität allerdings positiv besetzt, weil die Person sie sich selbst gegeben hat. Doch, wie gesagt, die Standardvariante ist die negative Zuschreibung darüber, dass die Person sagt, wer sie nicht ist. ((Schonmal aufgefallen, dass das die AfD Methode ist? Sie ist so einfach, weil die meisten Leuten genauso ticken.)) Diese Art von Identitätsgeneration führt dann wieder zurück zum 33c3 Motto, denn nur aus dieser Identitätsvorstellung, des ich bin nicht wie die anderen, kann man sagen „Works for me“ und daraus schließen, dass die Interessen der anderen egal sind. Die sind ja diejenigen gegen die sich abgegrenzt wird. Die positive Selbstzuschreibung wiederum eröffnet die Möglichkeit andere Menschen anzuerkennen, weil die Person selbst möchte, dass ihre Identität, die sie sich gegeben hat anerkannt wird. 

Und damit kommen wir zum Neuzugang am digitalen Kaffeetisch Kolame hat sich hinzugesetzt und auf eine bewundernswert-erschreckend soziologisch-systemtheoretische Art, die Rolle der Moral im Diskurs thematisiert hat. Eine Frage, die sie stellt ist:

Wie kriegt man die Personen wieder in einen Raum, ohne aber in vormoderne und noch sexistischere (als heute), patriachelere (als heute) und diskriminierende (als heute) Diskurspraktiken zurückzufallen?

Ich denke eine Antwort ist, dass dieser Diskurs, den sie da beschreibt, sich über Identitäten generiert und damit über die Betonung von Unterschieden, die viele dringend benötigen um sich sicher zu sein, wer sie sind. Dabei gilt dann „Works for me“ als Ausgangspunkt für Kompromissbereitschaft und das ist dann das Problem. Wenn es das Ziel ist, dass die verschiedenen Gruppen wieder miteinander in den Diskurs treten, dann muss neben den ganzen technisch-praktischen Problemen, die erörtert wurden, auch ein Raum geschaffen werden, in dem Identität in den Hintergrund tritt. Ein sozialer Raum in dem das wer ich bin nicht so wichtig ist, wie das was ich möchte. In dem aus dem „works for me“ ein „works for us“ oder wenigstens ein „works for most of us“ wird.

Der Weg zu diesem Raum kann aus meiner Sicht nur über zwei unterrepräsentierte Konzepte aus dem pädagogischen Arsenal führen: zum einen Selbstfindung als Kulturtechnik, zum anderen Empathie. Ich kann zu beidem sagen, dass es im Schulsystem nicht stattfindet und kein Ziel ist. Gleichzeitig stelle ich gerade dieses Schuljahr fest, dass Empathie etwas ist, dass Schüler*innen kaum erleben und das Selbstfindung eine Sehnsucht und ein Gegengift zur allgegenwärtigen Zukunftsangst ist, die sie erleben. Doch diese Eigenschaften und Kulturtechniken brauchen direkte Kommunikation und einen Diskurs in dem Identitäten und Rollen unwichtig sind. Beides ist in Schulen leider selten.

Diskursfindungsschwierigkeiten

Um auch weiterhin den Eindruck zu erwecken, dass sich hier das soziologische Kaffekränzchen Rundbriefe schreibt, möchte ich mich diesem Artikel vom sozioblogen äußern. Er verlangt danach, dass wir wieder mehr Diskurs brauchen. Dieser weisen Erkenntnis stimme ich zu. Mein Beitrag ist eher als Analyse gedacht, wo denn der Diskurs überhaupt hin verschwunden ist. Auch hier gilt mal wieder, wenig neues, aber wenn nicht bekannt ist, wo etwas herkommt, wird es mit dem wegkommen noch schwieriger.

In meiner Jugend…

Opa erzählt vom Krieg, oder besser von der Welt vor dem Jahr 2000. Da hatte er ein Festnetztelefon, einen Computer, der nicht an das Internet angeschlossen war und ein Fahrrad. Die Diskussion über Politik war gestützt auf Zeitung, Fernsehen und direkte Sprache. Wenn etwas medial neu geschehen ist, dann war das Einzige, was einen davon abhielt keine Ahnung davon zu haben, wovon der Rest sprach, kein Privatfernsehen zu haben.

Das Netz ist toll! wait…

So, und jetzt ist Medienwandel. Print liegt in den letzten Zügen, Radio ist nur noch Gedudel, Fernsehen ist für Rentner, Facebook ist für Rechte, twitter für Linke und die Jugend ist auf Snapchat ((oder so…)). Das ist so ungefähr und damit muss jetzt mal umgegangen werden. Es bedeutet aber auch etwas: der gesellschaftliche Diskurs ist komplett zersplittert, denn der Ort der ihn bisher vereinigt hat, sind die Massenmedien. Der Diskurs von Mensch zu Mensch wird dabei immer schwerer. In der Schule kann man erleben, dass Klassen keine Klassengemeinschaft mehr bilden, weil die Menschen, die im selben Raum sitzen, einen virtuellen sozialen Raum über den halben Landkreis aufspannen.

Das bedeutet dann aber auch, dass die Leute eben nicht mal mehr miteinander reden müssen, wenn sie im selben Raum sitzen. Und wir Lehrer wollen eigentlich auch, dass sie nur über unsere Themen reden, wenn sie miteinander reden. Der Diskurs mit anders denkenden Menschen ist also maximal mit Lehrern möglich, aber die sind soziales Hintergrundrauschen. Es ist für die meisten Leute technisch unmöglich einen Diskurs mit einer andersdenkenden Person zu führen.

Da die sozialen Medien dazu neigen den Nutzern nur Inhalte vorzuzeigen, die zur eigenen Weltwahrnehmung passen, also werden andere Weltsichten so antagonisiert, dass sie nur noch böse sind. Die einfachen Lösungen halt. Es wird aufgrund der enormen sozialen Beweislast gedacht, dass man selbst definitiv nicht falsch liegen kann, weil alle anderen es ja auch so sehen.

Das sind alles Bedingungen, in denen sozialer Diskurs eigentlich fast unmöglich geworden ist, außer er ist unvermeidbar, wie in Schulen oder größeren sozialen Anlässen, aber selbst da wird ja nicht mehr geredet, sondern gechattet und fotografiert.

Also, ja wir brauchen mehr Diskurs, aber vorher muss erstmal das Problem gelöst werden, dass die unterschiedlichen Gruppen wieder im selben Raum sind.

Einfach mal die Fresse halten und machen…

Nach dem letzten, eher depressiven Beitrag, kommt hier jetzt der Krawall zurück. Es wird nämlich mal Zeit sich darüber zu unterhalten, warum das ganze soziale Gerechtigkeitsgelaber vielleicht doch nicht so gut ist, keinen Fortschritt bringt und am Ende nur den Konservativen in die Hand spielt. Wenn ich das aber tue, dann muss ich ja auch erzählen, wie es anders geht.

Hört doch mal auf zu quatschen.

Eine Weisheit der Soziologie ist, dass wenn über etwas geredet wird, es von den Kräften der Gesellschaft verarbeitet wird. Das ist dann das, was in Politik endet. Die landläufige Idee, wie Gesellschaftsänderung vonstatten geht, ist:

  1. Thema aufbringen
  2. Agenda Setting
  3. Politischer Diskurs
  4. Bessere Welt
  5. Rinse Repeat

Jetzt ist die Bevölkerung überaltert und das funktioniert nicht mehr, weil die Leute die Mehrheit im Diskurs haben, die gerne die Welt so hätten, wie es früher war. Dazu kommt, dass die einzelnen Teile der Gesellschaft eigentlich gar nicht mehr miteinander reden und wenn dann nur durch Vorwürfe und in schreiendem Ton. Gesellschaftliche Probleme werden als öffentlich nur noch als Spektakel behandelt und nicht mehr diskutiert, weil soundso jede Seite glaubt, dass sie recht hat und am Ende die alte konservative Mehrheit mit dem Stillstand gewinnt.

Die ganzen Versuche neue Ideen auf die Agenda zu setzen, in dem darüber geredet wird, sind also sehr kontraproduktiv. Zum einen reißen sie nur noch mehr Nebenschauplätze auf, zum anderen ist nur noch der Konflikt interessant nicht der Inhalt. Hinzu kommt, dass die konservative alte Mehrheitsgesellschaft das Thema dann in Ruhe versanden oder konservativ umdeuten kann. Das schafft wahlweise Perversionen des Fortschritts (Mindestlohn, Rentesystem) oder einfache Feindbilder („Feminazi“), die dann halt auch gerne wieder verschwinden. Gesellschaftlicher Fortschritt findet also nicht mehr statt.

Deswegen wäre es vielleicht mal gut, weniger zu quatschen, weniger anzuklagen, weniger zu schreien. Wenn dann sollte gefragt, erklärt und sich ausgetauscht werden.

Wer macht hat Recht!

Und das fragen, erklären und austauschen funktioniert viel besser, wenn die Leute einfach machen. Die normative Kraft des Faktischen gilt in postfaktischen Zeiten umso mehr. Wird eine Realität geschaffen, dann kann man sich darüber unterhalten und vor allem in dieser leben. Das bedeutet also, dass sich das Schaffen einer eigenen Realität gut dazu eigenen eine zu haben, in der man leben will. Das führt dann schon zum gesellschaftlichen Diskurs. Dieser wird aber nicht unter der Annahme geführt, dass alternative Lebensformen und Realitäten Spinnereien einer Minderheit sind, sondern mit den existierenden Phänomenen einer pluralen Gesellschaft. Will heiße, wenn eine Familie aus mehreren Elternteilen (2+) bestehen möchte, dann sollte sie das. Legal lässt sich das regeln. Wenn dann jemand fragt, wie das funktioniert, dann erzählt und erklären die Menschen das, die dieses Modell leben. Dabei müssen sie nicht die Person gegenüber überzeugen und auch keine große gesellschaftliche Debatte vom Zaun brechen. Die Gesellschaft ändert sich hier schon durch die neuen Lebensformen, die einfach gelebt werden.

Wer macht hat also erstmal Recht und muss nur erkennen, dass es keinen Grund gibt sich für das eigene Leben und die eigene Realitätsgestaltung rechtfertigen zu müssen, genauso wie es keinen Grund gibt, andere für deren Version anzugehen. Am Ende gelingt so ein Zusammenleben unheimlicher vieler verschiedener Menschen. Es muss zwar noch ein Rechtssystem, das die allgemeinen Regeln des Zusammenlebens durchsetzt, doch je mehr Dinge als alltäglich gelebt werden desto weniger können diese Regeln in alternative Lebensmodelle hineinpfuschen. Gelebter Pluralismus führt am ehesten dazu, dass sich sinnlose soziale Schranken auflösen.

Es ist also sinnvoller, zu versuchen ein Leben zu leben, dass einem selbst gefällt und erfüllt, als sich die ganze Zeit hinzustellen und anklagend zu versuchen die Welt von oben nach unten besser zu machen. Akzeptanz von alternativen Lebensvorstellungen führt zu gesellschaftlichem Fortschritt, nicht das heulende Einklagen diffuser Rechte, das immer in einem sinnlosen Vergleich der Privilegien endet. Anstatt Privilegien mit gesetzlicher Gewalt zu minimieren, hilft es mehr Menschen die Möglichkeit und Einstellung zu geben, dass sie sich Privilegien anderer nehmen können, wenn sie vergleichbares nur anders tun. Neid und Einklagen sind kontraproduktiv, sich selbst einen Platz zu schaffen nicht. Wenn das zum Standard unserer Sicht auf Pluralismus wird, dann wird es am Ende auch zu einer Politik führen, die Möglichkeitsräume öffnen muss, anstatt sich in Konflikten zu schließen.

Update: Die Vrouwelin hat sich in einem eigenen Artikel hierzu geäußert und eine wichtige Dimension hinzugefügt: Solidarität und Empathie. Ich möchte mich bedanken und ihr ausdrücklich zustimmen. Ich gehe implizit davon aus, dass Empathie und die daraus folgende Solidarität in jedem Menschen angelegt sind. Das ist vielleicht zu idealistisch gedacht, aber dann eine Aufgabe für unser Bildungssystem.

Update 2: Der Soziobloge hat sich mit einem zweiten Beitrag gemeldet, der vielleicht den wichtigsten Punkt aufmacht: mal entspannen im Diskurs. Ich schließe mich auch hier vollständig an und bedanke mich für den Beitrag.