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HCH068 Kommunikation 4 - Kommunizieren im Internet

So, noch kurz und komplett frei-flottierend über Kommunikation im Internet, als kleine Anwendung der Erkenntnisse der letzten Folgen.

HCH025 Über Bundeswehr und Diskurs mit Jenny

Aus aktuellem Anlass rede ich mit Jenny vom Politik Betreuung Podcast über die Bundeswehr, ihre gesellschaftliche Rolle, den Umgang mit ihr von ziviler Sicht und was das alles über den Diskurs in unserem Lande sagt.

Wer den Anlass verpasst hat, findet hier einen Bericht.

Über Kleidung, Persönlichkeit und Identität

Nachdem ich letztens schon etwas garstig über Authentizität in der Kommunikation geschrieben habe, und wir uns im soziologischen Kaffeekränzchen über Identität unterhalten haben, möchte ich da eine weitere Dimension aufmachen. Wir hatten es auch in der Sendung über Identität, dass das viel mit Kleidung zu tun hat. Und an der Stelle möchte ich mal etwas abtauchen, vor allem auch, weil die Karnevalssaison vor der Tür steht und damit eine zweite Dimension.

Da ich ja der Typ mit den Texten und der Literatur bin, fange ich mit einer meiner Lieblingsstellen aus einem Podcastbuch ever an. Es ist die Podcastversion von Nathan Lowell’s Trader’s Tales in the Age of the Solar Clipper. Im zweiten Buch Half Share, wird der Protagonist Ishmael zu einem Nobelschneider geschleppt, um sich neu einzukleiden. Die ganze Szene ist eher so ein Coming-of-Age Moment und die entscheidende Szene ist die, in der Ishmael in Unterhosen vor dem Spiegel des Schneiders steht und dieser fragt: „Who do you think, you are?“. In der Folge finden sie gemeinsam einen Kleidungsstil, der Ishmael als Person entspricht. ((Hört den Rest der Szene, weil nunja, er ist sehr schön menschlich…)) Das ist der zentrale Punkt, um den sich dieser Text drehen soll.

Kleidung ist eines der hauptsächlichen Zeichen, die wir an die Welt senden und es generiert damit in der Welt einen großes Teil des Bildes, das wir von uns senden wollen, und auf das die anderen Menschen da draußen reagieren. Das bedeutet, dass Kleidung Identität für uns und gegenüber der Welt generiert. Diese Identität ist das Ergebnis einer Sozialisation ((Wir sind überrascht…)) und das bedeutet natürlich auch, dass die Analyse des Kleidungsstils Rückschlüsse auf die Sozialisation und damit die Identität zulässt, auf der das alles aufbaut. Menschen tragen also ihre Einstellungen, Sichtweisen und auch ihre Funktionen am Körper. Letzteres ist natürlich im wirtschaftlichen und beruflichen Kontext klar, und deswegen etwas, über das ich mich mal getrennt auslassen. Menschen sehen also Kleidung und äußerliche Erscheinung als Zeichen ihrer Persönlichkeit und Identität. Ich sehe so aus, wie ich aussehe, weil ich das möchte. Das bedeutet nicht, dass ich nicht Kleidungsstile annehme, die von verschiedenen sozialen Gruppen generiert werden, aber die Wahl obliegt erst einmal mir. Vor allem auch, die Entscheidung, wie sehr ich diese Kleidungsstile adaptiere oder nicht. Ich nehme mich mal als Beispiel. 

Wer mich auf Großveranstaltungen wie dem Congress getroffen hat, weiß, dass ich eigentlich immer in schlapprigen „Goa-Hosen“ rumrenne. Die sind halt total bequem und gleichzeitig ungewöhnlich. Dazu trage ich meist irgendwelche Nerdshirts und eine Jacke im Paganstil oben drüber. ((Wer genauer das genauer wissen will. Es gibt da einen Blogpost. Es fehlt meine Winter- und meine Übergangsjacke, aber ansonsten ist das vollständig.)) Das sind Klamotten, die mir gefallen in denen ich der bin, von dem ich denke, ich bin ich. Bedeutet das, dass ich arabische Kleidungsstile kulturell appropriiere? Nein, allein schon weil dieser Stil der Hose eigentlich auf der ganzen Welt verbreitet war. Sackartige Schnitte sind halt einfach zu gestalten. Es ist halt bequem und nicht normal und das gefällt mir irgendwie. Es ist mehr „ich“ als mich in enge Jeans zu zwängen oder aber Hemden und Unterbauchhosen anzuziehen, die ich nur im Übergrößenhandel shoppen kann. Stattdessen nehme ich die Gestaltung meines Wahrgenommenwerdens in die eigene Hand und zähle öfter mal die Leute, die mich blöde auf der Straße ansehen.

Diese Wahl der eigenen Kleidung ist grundsätzlich von Verkleidungen zu unterscheiden, auch wenn das anscheinend vielen Menschen schwer fällt, die glauben, dass alles was nicht dem modischen Mainstream entspricht eine „Verkleidung“ ist. Dabei funktionieren Verkleidungen nur im Kontrast zu einem „normalen“ Kleidungsverhalten. Ich selbst fühle mich im Anzug zur Abiturfeier verkleidet und obwohl ich etwas dafür tue, dass da immer noch Persönlichkeit durchscheint, finde ich diese Kleidung als überhaupt nicht meinem Bild von mir entsprechend. Dadurch wird eine Verkleidung. Wenn diese Verkleidung mit Kleidung verglichen wird, verwechselt man Identitätsebenen. Bei Verkleidungen wird die eigene Identität durch den Kontrast mit dem hergestellt, dass normalerweise der Identitätsgenerierung dient. Wenn du ein Langweiler in Jeans und Polohemd ist, dann ist das Tragen meiner Klamotten ein Kommentar darüber, dass du immer noch ein Langweiler in einer Goa-Hose bist. Der Kontrast macht Verkleidung wirksam. Erst von aus der Verkleidung die Kleidung wird, dann dreht sich die Identitätsgenerierung um.

Wir sind also, was wir tragen wollen und tragen. Doch wir sind auch, die Person, die sich in anderen Sachen unwohl fühlt. To be who we think we are, has a lot to do with what we wear…

Authentische Kommunikation und Social Media

Ich habe mich vor einiger Zeit mal kurz darüber geäußert, warum formularische SEO-Bullshit Tweets und ähnliches soziales Vernetzungsgebaren auf sozialen Netzwerken soziologisch gesehen peinlich und kontraproduktiv ist. Und weil ich zu gesteigerter Eristik neige, erkläre ich jetzt mal warum das alles Quark und nicht ernstzunehmen ist. Dabei mache ich mich natürlich über alle Vertreter dieser Religion lustig. Doch, wie immer, für die Lernfreudigen etwas Grundlagen.

Aufmerksamkeitsökonomie

Wir sind ja auf dem besten Weg zu Post-Scarcity, jedenfalls wenn es um die Phantasien verschiedenster Wirtschaftler und Utopisten geht. Ob das so wird, oder nur Full-Scarcity ist noch nicht raus. Sicher ist allerdings, dass die Herstellung von Produkten durch menschliche Arbeitskraft wohl immer mehr abnimmt. Wir sind jetzt schon in sogenannten Dienstleistungsgesellschaften und mit den sozialen Medien hat sich eine komplette virtuelle Wirtschaftswelt entwickelt. Seit Bitcoin wissen wir, dass eine Menge von Nullen und Einsen den Wert sehr vieler physischer Produkte übersteigen kann. In dieser tollen neuen virtuellen Wirtschaftswelt gibt es allerdings eine Kategorie, über die wirtschaftlicher Wert generiert wird: Aufmerksamkeit. Nachdem nur noch zählt, wer was zu sehen bekommt, ist Aufmerksamkeit die einzige Währung, die wirklich zählt. Wer wahrgenommen wird, hat Wert und wer nicht, der nicht. Das können wir jetzt schon bei Youtube Stars und Influencern ((Allein das Wort ist schon peinlich…)) sehen.

Die Frage ist jedoch, wie generiert man nun als wirtschaftlich orientiertes Wesen Aufmerksamkeit und damit Geld in dieser Art von Ökonomie?

Kundschaft und Plattform

Die Antwort auf diese Frage hat zwei grundlegende Dimensionen, die der Kunden und die der Plattformen. Beide haben miteinander zu tun, aber in unterschiedlicher Ausprägung. Die Kunden sind der einfachste Ansatz, aber interessanterweise auch das, was am meisten falsch verstanden wird. Es wird zwar immer behauptet, dass die User also die normalen Menschen da draußen diejenigen sind, die in der Aufmerksamkeitswirtschaft die bezahlenden Kunden sind, aber das stimmt großflächig nicht. Zwar gibt es Angebote, die von direkten Spenden ihrer Zuhörer und Abos leben können, diese sind jedoch in der Unterzahl und das meiste davon wird mittlerweile auch über Plattformen abgewickelt, die dann wiederum zumindest zum sekundären Kunden werden, der auch immer mit befriedigt werden muss. Das bedeutet, dass die Adressaten zwar das eigentliche Publikum sind, das die Aufmerksamkeit spendet, aber nicht die Gruppe, die am Ende das Geld generiert und diese Gruppe ist die eigentlich wichtige.

Die Übersetzung von Aufmerksamkeit in Geld findet derzeit hauptsächlich über die verschiedenen Spielarten von Werbung statt, die wiederum primär durch die Plattformen mit den Inhalteanbietern verbunden werden. Damit ändert sich dann, wie oben gezeigt, aber der Kunde des Anbietenden. Die Werbetreibenden werden zum primären Kunden des Anbieters und die Plattformen werden zum Mittelsmann zwischen beiden. Um also die generierte Aufmerksamkeit in Geld zu übersetzen scheint derzeit der Königsweg zu sein, sich über eine Plattform oder direkt an die Werbewirtschaft zu verkaufen. Dabei bestimmt diese dann langfristig auch den Inhalt und beschränkt die eigene Freiheit, da sie nur Botschaften haben möchte, die bestmöglich mit der vordefinierten Zielgruppe resoniert ((Also bitte nicht solche Texte hier…)). Die Plattformen sind hierbei die Regulierungsinstanzen, die von vorneherein versuchen werbefreundliche Produkte zu bevorzugen. Das bedeutet, dass Inhalte hauptsächlich den Plattformen und Werbetreibenden gefallen müssen und die Aufmerksamkeit nur dafür generiert wird.

Die Rolle der Plattformen ist dabei besonders perfide, können sie doch den Aufmerksamkeitsstrom und die Werbungsverteilung regulieren. Das wird von Google, Facebook und so weiter schon in großem Umfang getan und das Geweine, das darauf folgt führt dann zum nächsten Problemfeld, das viel mit dem Missverstehen von social media und den sozialen Konstrukten, die da in den entsprechenden Benutzerkreisen gelten, zu tun.

Social Media Marketing-Schwachsinn für 1000

Über den Umgang mit social media gibt es unterschiedliche Ansichten. Die zwei großen Strömungen können grob in die Fraktion der authentisch kommunizierenden Menschen und die Strömung der Social Media Marketing Professionellen unterteilt werden.

Erstere sind relativ einfach abzuhaken. Menschen benutzen social media um mit anderen Menschen authentisch zu kommunizieren. Dabei geht es darum Beziehungen aufrecht zu erhalten und zu gestalten. Sehr oft sind hier auch Beziehungen im echten Leben gemeint. Social Media in diesem Sinne schafft ein Profil der Person, das meist eine hohe Kongruenz mit dem Profil in der realen Welt zu tun hat. Dadurch schaffen sich auch Beziehungen und die Aufmerksamkeitsökonomie ist am stärksten, nämlich durch das Empfehlen von Bekannten, denen die Personen vertrauen. Das ist auch das, was Facebook mit seiner aktuellen Kampagne wieder möchte, bei der private Nachrichten wieder im Feed hochgewichtet werden. Nur diese eigentlich belanglose private und authentische Kommunikation hält nämlich Menschen auf Facebook und damit das Engagement hoch. Die selbe Logik gilt auch für Instagram, wo wir zeitnah sehen werden, dass die ganzen Influencer an der Fakeheit ihrer Kommunikation scheitern werden. Denn das ist die andere Art mit Social Media umzugehen.

Diese besteht aus der Idee, dass es Kommunikationsregeln gibt, die auf jeden Fall Erfolg auf Social Media bedeuten. Und die Grundregel hier ist Vernetzung. ((Ja, da kommen noch mehr Bullshitvokabeln, keine Sorge.)) Deswegen ist es nicht wichtig, dass die Kommunikation authentisch ist, sondern möglichst viel Botschaft mit möglichst vielen Multiplikatoren enthält. Denn wenn ich die Aufmerksamkeit von diesen erhalte, dann gibt das irgendwie mehr Erfolg. Die Logik dahinter ist dieselbe wie oben genannt: ich verwechsele die Leute, die mir Geld geben mit den Leuten, wegen denen mir Geld gegeben wird. Das Problem ist, dass diese Art von Kommunikation vergisst, dass social media das Verbreitungsmedium ist und nicht das Beschaffungsmedium. Ich kann zwar in spezifischen professionellen Kreisen Aufmerksamkeit für mich generieren, aber eigentlich sollte ich direkt mit der Zielgruppe interagieren. Die ganze Social Media Marketing Strategie zielt allerdings darauf ab, möglichst unauthentische und manipulierte Botschaften zu senden, von denen man denkt, dass sie definitiven Erfolg haben. Das stimmt, allerdings nur bei den Kreisen, die denselben Cargo-Culten anhängen.

Wir beten alle mal, damit wieder ein Flugzeug landet.

Obwohl alles, was oben gesagt wurde länglich bekannt ist, und gerade wir Podcastnasen das auch immer wieder beweisen, ((Ja, die Monetarisierung ist noch nicht so gut…)) wird an vielen Stellen der Industrie immer noch der Cargo Cult der gesteuerten Social Media Kommunikation gebetet. Das wird dann auch allen jungen professionellen Anfängern in dem Bereich beigebracht, gern an Unis gelehrt und resultiert darin, dass alle sich gegenseitig vorbeten, dass es gut funktioniert, weil der Rest genauso auf die Gebete handelt, wie man selbst. Allein, die echte Zielgruppe, diese Menschen, die irgendwie die Texte lesen, die Videos schauen und damit die Werbung konsumieren sollen, die werden nicht angesprochen. Stattdessen wird ein autonom arbeitendes System von Medienschaffenden kreiert, für die Chartbeat und Social Media Esoterik einen Erfolg garantieren sollen, den sie nur mit zweifelhaften Daten messen können.

Daran ist besonders interessant, dass es in der PR-Branche eigentlich bekannt ist, wie am besten Engagement hergestellt wird, nämlich durch die oben genannte Authentizität und Relevanz. Allerdings scheint es da auch noch Experten aus dem Bereich der Leute zu geben, die das gerne irgendwie betriebswirtschaftlich plan- und abrechenbar mit Erfolgsgarantie hätten. Also werden werden dämliche Kochrezepte in Gebetskreisen zum social media Erfolg herbeigebetet, die von freischaffenden Priestern geleitet werden, die nix von dem glauben, was sie erzählen, aber gut Rechnungen schreiben. Gerne führt das dann auch noch dazu, das immer mehr Geld auf disfunktionale Interaktion geworfen wird, weil ja die Strategie nicht falsch sein kann, sondern nur die Anstrengung fehlt.

Sei du selbst…

Das ist alles hochgradig amüsant, würde es nicht so viel Geld kosten und gleichzeitig strukturell diejenigen Stimmen unterdrücken, die tatsächlich einen Mehrwert für die Gesellschaft und nicht nur für ein scheiternde Medienwelt haben. Diese anderen Stimmen haben oft keinen schnellen Erfolg, aber dafür meist den nachhaltigeren.

Über Handlungsfähigkeit…

Nachdem es beim letzten Mal um Skills und die Idee ging, dass Inhalte Skills erst wertvoll machen, muss ich auch über eine zweite soziale Dimension reden, die mich da umtreibt. Fähigkeiten und Inhalte sind nämlich leider nur soviel wert, wie sich die einzelne Person zutraut. Und da beobachte ich eine Veränderung in die Richtung, dass immer weniger Leute ihre eigene Handlungsfähigkeit (Agency) und Selbstwirksamkeit in der Welt wahrnehmen. Darauf gestoßen haben mich die Geschichten von Menschen um mich herum, bei denen es sehr viel um Körperbestimmung geht. Fangen wir mal da an, und werden dann irgendwie allgemein.

Es ist dein Körper…

Die Geschichten, die ich hierzu kenne, sind weniger meine eigenen. Ich bin zwar volltätowiert, aber halt auch ein großer weißer hetero- und cis-gelesener Mann. Leute finden mich eigenartig, aber halten generell den Mund. Anders ist das bei meinem weiblichen Umfeld. Da das aber für sich selbst sprechen kann ((Und ja nichts dem Feminismus mehr hilft, als wenn Männer für Frauen sprechen…)), werde ich das nur grob umreißen. Das weibliche Umfeld hat sich nämlich zum einen großflächige Tätowierungen in „unweiblich“ ((Fragt mich, bitte, bitte nicht, was das ist. Es wurde mir berichtet. Ich dachte weiblich sei das mit den Brüsten und der Vulva, und davon gerne auch was optional.)) stechen lassen oder vor der Frage gestanden ((Und die anscheinend im Sinne dieses Textes beantwortet.)), ob es sich ein Piercing stechen lässt. Das führt zu allerlei Einlassungen von außen, die irgendwelche Bilder an das Umfeld herantragen, seien es dezidierte Machtaussagen von Menschen, die glauben, dass romantische Beziehungen Machtbeziehungen sind ((Bitte hören Sie hierzu unser soziologisches Kaffeekränzchen zu Liebe)), oder aber antiquierte Vorstellungen von Schönheit. ((Hören Sie hierzu das passende Kaffeekränzchen über Schönheit.)) Dabei ist natürlich klar, dass entgegen dem gesellschaftlichen Mythos die Person selbst erst einmal Hoheit über ihren Körper hat. Auch, und eigentlich dann insbesondere, wenn sie diese nicht vollständig ausüben kann. Ich habe komische Tattoos und das ist mein Ding. Dasselbe gilt für sexuelle Präferenzen und so weiter. Egal wie sehr konservative Politiker und ähnliche Instanzen da hereinreden wollen, ist es grundsätzlich so, dass der Körper zur Person gehört.

Agency

Nach dem eher dogmatischen Statement geht es jetzt um die Frage, was das denn eigentlich bedeutet. Die Konstruktionsmacht der Person durch die Gesellschaft ist stark und wird immer wieder sozial reproduziert. Dabei geht sehr oft die Handlungsfähigkeit der Person im wahrgenommenen Druck der Gesellschaft unter. Die Konformitätsdrohung münzt sich in der individuellen Erfahrung in Gefühle von Ungeliebtheit und damit soziale Erwünschbarkeit um. Du wirst nur geliebt und bist nur wertvoll, wenn du dich richtig verhältst, also mit dem was du tust nicht den Rahmen dessen verlässt, was allgemein als gutes Verhalten konstruiert wird. Also bitte keine großen Bodymods, bitte über sexuelle Gewalterfahrungen durch Machtkonstruktionen schweigen, bitte immer so tun, als wäre jeder Stress willkommen und soundso kein Problem oder bitte immer perfekte Eltern sein und zwar nach allen sich-widersprechenden Elternratgebern gleichzeitig. Dieser Druck nimmt der einzelnen Person die Möglichkeit im Rahmen ihrer Beziehungen und in Bezug auf sich kompetent und eigenständig zu handeln. Individuelle Handlungsfähigkeit und das Nutzen alle Möglichkeiten, die einer Person zur Verfügung stehen sind aber integral für das Selbsterlebnis als eigenständiges Individuum, und das unbenommen von Sozialisation.

Dieses Phänomen wird mit dem Blick in niedrigere soziale Statusgruppen noch deutlicher. Hier wird ja nicht nur sozialer, sondern auch ökonomischer Konformitätsdruck ausgeübt. Die EmpfängerInnen von ALG II und ähnlichen Transferleistungen müssen sich in ihre Leben und damit ihre Handlungsfähigkeit in einem Maße hineinredenlassen, die vielen modernen Pseudopädagogen bei Kindern sofort die Zornesröte ins Gesicht steigen ließe. Die Unwürdigkeit, die da gegenüber Kindern reklamiert wird, ist dann bei Erwachsenen Menschen, die aus ihrer unabhängigen Handlungsfähigkeit viel Identität ziehen umso schlimmer.

Die sozialen Konstrukte, die benutzt werden um Menschen davon zu überzeugen, dass sie gegenüber sich selbst nicht handlungsfähig sind und keine Selbstwirksamkeit mehr haben, sind zutiefst schädlich und normal.

Und nu?

Hilft eigentlich nur etwas dagegen zu tun. Weil der einfache Ratschlag „Dann mach doch, was du willst.“ ist zwar richtig, aber auch zynisch. Denn Menschen, die immer wieder die Erfahrung gemacht haben, dass ihre eigene Handlungsfähigkeit in Frage gestellt wird, egal wie wohlmeinend das getan wurde ((Ich als Lehrer und total wohlmeinender Mensch muss auch aufpassen, dass ich das nicht tu… Es ist eben nicht einfach.)), trauen sich irgendwann selbst nicht mehr zu das Richtige zu tun, obwohl das nicht existiert. ((Hier kann man dann auch endlich mal von Gaslighting sprechen…)) Also braucht es die wohlmeinende Hilfe von außen, die Menschen immer wieder darauf zurückführt, dass sie ihre Entscheidungen selbst treffen müssen. Man kann eine Meinung äußern, aber diese Meinung als für die andere Person als wichtig oder gar richtig aufzufassen ist übergriffig. Es ist nett zu wissen, was die anderen denken. Das bedeutet nicht, dass das auch nur im geringsten eine Richtlinie ist. 

Keine Spiele…

Wer uns beim Soziologischen Kaffeekränzchen schon zuhört, der weiß schon, dass das Soziale eher so schwierig ist und zwischen Menschen sehr viel abgeht und es gleichzeitig komplex ist. Die sozialen Medien, die eigentlich gar nicht so sozial sind, haben das nicht leichter gemacht.

Und so fängt dieser Eintrag mit ein paar Erkenntnissen an und mäandert sich in eine Handlungsaufforderung hinein. Bleibt dabei, es kann sich lohnen.

Also, generell neigen soziale Beziehungen dazu, dass Kommunikation in ihnen kommunal definierten Konstrukten entsprechen soll. Ein kommunal definiertes Konstrukt ist ein Stückchen heimlicher Konsens darüber wie eine Person und eine soziale Gruppe über ein bestimmtes soziales Phänomen zu sprechen und bevorzugt auch zu denken hat. Es definiert also, was zu einem Sachverhalt sagbar ist, und wer auf welche Art spruchfähig ist. Das ist natürlich ganz großer Quatsch. In einer sozialen Beziehung sind erst einmal alle Menschen gleich spruchfähig und alles ist sagbar. Die Konsequenzen errechnen sich aber aus den kommunalen Konstrukten, an die sich alle anderen erst einmal implizit halten. Die sozialen Strafen, die für das unhinterfragte Einhalten dieser Konstrukte gezahlt werden, sind aber fast genauso groß wie diejenigen, die es für das Nichteinhalten zu zahlen gibt. Um genau zu sein, sind diese Strafen sogar garantiert, während es bei Nichteinhalten immerhin die Chance geben kann, dass sich etwas an der kommunikativen Landschaft um einen herum ändert. Doch, die kommunalen Konstrukte sind stark und die Leute glauben, dass das Gerümpel, dass ihnen qua Sozialisation ins Hirn gelegt wurde, in ihrem Leben so imperativ sind, dass es sofort an die eigene Identität geht, wenn das Verhalten der Person gegenüber unerwartbar wird. Dabei wäre es eine große emanzipatorische Leistung, wenn diese Menschen die Konstrukte erkennen und reflektieren können und das ist nur die pädagogische Seite. Wichtiger ist noch: es würde viel persönliches Unglück vermeiden. Denn die Erfahrung der konstanten Identitätskrise ist weder sonderlich angenehm noch einem gesunden Leben förderlich.

Das ist jetzt schon eklig, furchtbar und ein Problem, doch es hört da nicht auf. Die Tatsache, dass viele Menschen vieles für unsagbar halten, führt dazu, dass sie versuchen Kommunikation auf impliziten Ebenen zu führen. Dabei muss die Person, die da kommuniziert davon ausgehen, dass ihre Sendung so verstanden wird, wie sie gemeint ist. Da aber implizit kommuniziert wird, kann sich der Sender gar nicht sicher sein, dass der Empfänger das „richtige“ versteht. Das ist schon bei direkter Kommunikation ein großer Spaß, herauszufinden, ob und wie man verstanden wurde. Implizit ist es Gänseblümchensuchen im nächtlichen Minenfeld. Das hält Menschen natürlich nicht auf. Direkte Ansprache ist meist aus Gründen der eigenen als wahr und unumstößlich angenommenen kommunalen Konstrukte nicht möglich, weil es dann ja wieder an die eigene Realität und Identität geht und Verwundbarkeit ja die Katastrophe an sich ist. Also wird versucht implizit über diese kommunalen Konstrukte zu kommunizieren. Da wird es halt spaßig, wenn die andere Person die Konstrukte nicht teilt, oder aber kennt und dann ignoriert. Die Peinlichkeit des ganzen Verfahrens ist also greifbar. Man könnte auch sagen: das sind alles Spiele, die gespielt werden, damit Menschen ihre eigene Welt in Konsistenz halten. Kognitive Dissonanz ist halt schrecklich und wenn man im Rahmen der eigenen kommunalen Konstrukte kommunikativ handelt, dann glaubt man, dass das auch die passende Wirkung hat. Nichts ist natürlich weiter von der Wahrheit entfernt. Direkte Kommunikation ist die einzige, die uns am Ende die Möglichkeit des Verstandenwerdens ermöglicht. Aber diese bürgt halt auch die Möglichkeit, dass man selbst verstehen muss, dass die eigene Welt und die eigenen Vorstellungen nicht kongruent mit der Welt und der Realität der anderen Menschen um einen ist und im Zweifel vielleicht nicht mit der von Menschen, die einem etwas bedeuten. Im Ernstfall können da halt komplette Lebenslügen auffliegen und das ist furchtbar. Also, schön indirekt kommunizieren und hoffen, dass die Welt schon mitkriegt was gemeint ist. Oder anders: schön Spiele spielen.

Und damit sind wir an der Stelle, wo wir von der Analyse zur Handlungsaufforderung kommen. Liebe Leserschaft, versucht nicht Spiele zu spielen. Ich selbst habe langsam keine Lust mehr darauf und ich kann verstehen, warum es vielen anderen Menschen auch so geht. Wir haben das alle nicht nötig, und wenn wir glauben, dass wir es nötig haben, sagt das doch auch etwas und das ist nicht charmant.

Also… keine Spiele. Wir haben besseres zu tun…

Über Essen, Geld und Gesellschaft

Dies wird der eine große Post in dem ich versuche das Phänomenfeld mal zusammenzutragen. Hauptsächlich, weil ich einen Ort haben will, auf den ich zeigen kann, damit ich es nicht immer wieder erzählen muss.

Am Anfang, ein blöder Witz…

„Wie erkennt man auf einer Party einen Veganer?“

„Gar nicht, er wird es dir nach zwei Minuten selbst sagen.“

So blöde der Witz ist, so richtig ist er in einer Beziehung: Menschen, die Veganismus leben, neigen zu etwas mehr Sendungsbewusstsein und das hat damit zu tun, dass für viele dieser Menschen Veganismus eine aktive politische Einstellung ist. Das findet sich auch bei Vegetariern, aber in einem niedrigeren Maße, weil mehr Menschen, die vegetarisch leben, das auch aus nicht-politischen Gründen tun können. Veganismus ist also eine politische Lebenseinstellung, die auf der Nichtausbeutung von Tieren beruht. Dazu kommt heutzutage meist noch eine Betonung auf die Umweltschäden, die industrielle Fleischproduktion verursacht und die Tatsache, dass eine hoch fleischhaltige Diät ungesund ist.

Doch jetzt wird’s ernst…

Während Nichtausbeutung von Tieren eine ethische Frage ist, die eine eigene längliche Diskussion wert ist, haben die Veganer mit den Umwelt- und Gesundheitskonsequenzen recht. Das Referenzwerk hierfür ist leider immer noch der Bericht Lifestock’s Long Shadow der Lebensmittelorganisation der Vereinten Nationen. Industrielle Fleischproduktion hat einen starken Einfluss auf Landgestaltung, globale Erwärmung und Wasserreinheit. Dazu werden pflanzliche Lebensmittel minderer Qualität in Massen produziert um Fleisch zu produzieren. Wenn Transportkosten dazukommen wird das alles noch viel bitterer.

Fleischzentrierte Ernährung gilt als zentraler Punkt bei vielen Zivilisationskrankheiten, vor allem Gicht, hoher Blutdruck und Übergewicht. Weniger Fleisch wäre hier also auch mehr.

Die Schlussfolgerung der Veganer ist, kein Fleisch und keine tierischen Produkte mehr zu essen. Dagegen lässt sich nichts sagen, aber die Einsprüche der Fleischesser kommen schnell und dann ist der Diskurs im Eimer und es gibt nur noch Glaubensdiskussionen. Deswegen muss das mal auseinanderdividiert werden.

Der Umweltaspekt

Im Zentrum der ganzen Kritik an modernem Fleischessen steht eigentlich eine Kritik an der industriellen Landwirtschaft. Dies ist ein hochoptimierter Prozess mit dem das rasante Bevölkerungswachstum der letzten 200 Jahre überhaupt möglich geworden ist. Anstatt auf natürliche Zyklen zu achten, wurden mit Hilfe von synthetischen Produkten eine immer höhere Ausbeute auf den selben Flächen erzielt. Dabei entstanden Monokulturen, die von Pestiziden und Herbiziden geschützt werden müssen. Die Tierhaltung wurde automatisiert und von den Flächen in kontrollierte Hallen verfrachtet. Die Preise für die so produzierten Lebensmittel sanken stetig, vor allem, weil die Kosten, die diese Landwirtschaft an der Umwelt verursacht nicht mit eingepreist wurden.

Das kann schön beobachtet werden, wenn der ökologische Landbau als Vergleich herangezogen wird. Hier steigen die Fleischpreise sofort, während die Obst- und Gemüsepreise nahezu gleich bleiben. ((Insbesondere in der Saison. Im Biomarkt ändert sich das Sortiment mit der Saison mehr. Das die Stabilität der Obst/Gemüseabteilung gleichbedeutend mit höherer Umweltbelastung durch Transport ist, kann man sich denken.)) Also, kostet umweltgerechteres und wahrscheinlich auch tierfreundlicher hergestelltes Fleisch weitaus mehr als im Discounter. Die Preise dort haben mit den Kosten in der Wertschöpfungskette nichts zu tun, und noch weniger mit den Umweltkosten. Das ist alles schon wunderbar prekär, wenn wir bis hier schauen, doch es geht weiter.

Der Gesundheitsaspekt

Schließt sich hier gleich an. Die Bedingungen unter denen preiswertes Fleisch produziert wird, sind nicht nur für die Tiere furchtbar, sondern auch für die Konsumenten. Antibiotika werden regelmäßig als Wachstumssteigerer eingesetzt und führen zu immer mehr Resistenzen bei den Konsumenten und damit zu direkter Lebensgefahr. Ein erhellende Unterhaltung mit einem Veterinärmediziner zu dem Thema findet sich beim Küchenstudio. Das bedeutet also, dass billiges Fleisch eine ernstzunehmendes Gesundheitsrisiko darstellt. Das ist nicht unbedingt flächendeckend bekannt, aber interessiert auch weniger Leute und damit kommen wir zum Minenfeld der ganzen Angelegenheit.

Der soziale Aspekt

Billiges Fleisch ist also ein echte Problem für unsere Umwelt und eine Gefahr für uns selbst. Die Lösung der Veganer ist: wir lassen das einfach. Das ist valide und okay. Doch irgendwie will der Rest der Welt nicht folgen und weil ich mich hier mehrfach über Diskurs unterhalten habe, möchte ich versuchen das Problem von der religiös-ideologischen Seite auf eine verständnisbasierte zu stellen und weil ich gerne vorne anfange, geht es etwas zurück in die Geschichte.

Historisch gesehen ist Fleisch ein Lebensmittel der Reichen. Die englischen Wörter für die fleischproduzierenden Tiere sind allesamt germanischen Ursprungs, während die Wörter, die für das Fleisch verwendet werden alle französische Wurzeln haben, weil nur der französisch-sprechende Adel das Fleisch zu essen bekam. Diese Struktur zieht sich in Deutschland bis nach dem ersten Weltkrieg durch. Erst in der Weimarer Republik und später nach dem 2. Weltkrieg etabliert sich Fleisch als Grundlebensmittel. Dieses Zeichen des Reichtums will plötzlich jeder haben. Das Standardprestige von Fleisch setzte sich so sehr durch, dass Fleischkonsum „normal“ wurde und damit Ziel von alternativen gesellschaftlichen Strömungen, die ab den 70ern Fleischessen auch als Zeichen des Bürgertums ablehnte. Vegetarismus und Veganismus folgten dem und sind nun anerkannte Lebenseinstellungen, die von Menschen im Alter zwischen 16 und 40 als normal oder positiv angesehen werden.

Die ältere und konservativere Gruppe in der Gesellschaft kann mit diesen Einstellungen allerdings wenig anfangen, schließlich fühlt sich Fleischkonsum als traditionell überkommen und heimisch an. Dazu kommt, dass ein größerer Teil dieser Menschen in einer Situation lebt, in der eine bewusste Auswahl der Lebensmittel eine niedrige persönliche Präferenz einnimmt, zumeist weil aus ihrer Perspektive das Geld fehlt um sich fleischfrei zu ernähren. Schließlich sind ironischerweise die billigsten Convenienceprodukte im Discounter fleischhaltig und teurer als das Gemüse. Hier entsteht dann ein argumentativer Grabenkrieg zwischen den „linken Ökofritzen“, die darauf hinweisen, dass gesundes fleischfreies Leben wichtig ist und den „konservativen Fleischfressern“, die darauf hinweisen, dass sie sich diesen teuren Scheiß nicht leisten können und vor der Umwelt nun einmal die Moral kommt.

Dieser Streit ist emotionalisiert und lässt sich auf dieser Ebene eigentlich nicht lösen. Die Vorwürfe sind genauso sinnlos wie berechtigt und zeigen das wahre Problem eigentlich nicht auf. Der Streit, der hier so emotional geführt wird, kann besser diskutiert werden, wenn man sich ein paar Ideen aus dem Resonatorpodcast zur Umweltökonomie ansieht. Zum einen muss die alternativ-progressive Seite verstehen, dass es das 1-10-90 Phänomen gibt: eine Person ändert ihr Verhalten, sie kann neun weitere überzeugen ihr zu folgen, aber die anderen neunzig werden so weitermachen wie vorher. Es bringt nichts die neunzig Prozent dafür anzuschreien, dass sie aus ihrer Sicht „normal“ sind. Das bedeutet jetzt etwas ganz Schreckliches für dieses gesellschaftliche Problemfeld…

es braucht Politik…

Politik heißt ja verbindliches gesellschaftliches Konfliktlösen. Das könnte man jetzt auch machen. Und weil es hier am Ende um Kompromisse geht, fallen Radikallösungen aus. Also das Verbot von industrieller Landwirtschaft genauso wie die Idee, dass das alles einfach so weitergeht. Bevölkerungserziehung ist die feuchte Wichsfantasie der Innenpolitiker, also auch eine schlechte Idee. Dann bleibt eigentlich nur noch der Weg, den der Umweltökonom in oben genanntem Podcast zeichnet: wir müssen die Umweltkosten von Lebensmittelproduktion einpreisen. Das geht über Steuern ziemlich einfach.

Doch hier kommt das verborgene Problem hinter der Diskussion. Werden die Umweltkosten eingepreist, dann werden die unteren Statusgruppen sich wieder ernähren müssen wie vor 200 Jahren und damit wäre der kollektive Traum des gesellschaftlichen Aufstiegs bestmöglich widerlegt. Deswegen ist die Frage des Fleischessen eine der sozialen Gerechtigkeit. Möchte die Gesellschaft auf der einen Seite nachhaltige, ökologische und gesunde Lebensmittelproduktion, dann muss sie auf der anderen Seite dafür sorgen, dass die Kosten, die diese Produktion erzeugt auch von allen ihrer Teile bezahlt werden können. Das bedeutet, dass Sozialsstaatlichkeit die Grundlage von strukturellem Umweltschutz ist.

Doch diese Sozialsstaatlichkeit ist noch schwerer durchzusetzen als ein Veggie Day.

Moralisches Handeln

Dieser Artikel lag schon länger in meiner virtuellen Schublade und jetzt ergab sich dank einer Twitterunterhaltung mit dem Sozioblogen die Möglichkeit ihn zu verwenden und in einen Kontext zu setzen und damit zu einem Beitrag des soziologischen Kaffeekränzchen zu machen. Doch, vorne anfangen ist ja toll.

Eine der alten Fragen der Philosophie ist die Frage nach dem moralischen Handeln und die Frage, welche Art von Handlungen gut und böse sind. Dabei ist neben der generellen Definition des Begriffspaares, aber auch noch wichtig, welche Dimensionen überhaupt eine Handlung beeinflussen. Doch eines nach dem anderen. Deswegen geht es jetzt erst einmal und die großen Dichotomien im Bereich Moral.

Gut und Böse – Richtig und Falsch

Wenn über Moral geredet wird, dann geht es aus der Sicht vieler Menschen immer um gut und böse. Das Problem damit ist, dass nirgendwo festgelegt ist, was dem jeweiligen Begriff zuzuordnen ist. Und weil wir uns alle Märchen darüber erzählen, wie unsere Welt aussieht, ist immer das, was wir selbst denken gut und das was andere anders denken böse. Das diese Sicht auf die eigene Weltkonstruktion menschlich, aber auch für Diskurs schwierig ist, wurde an diesem virtuellen Kaffeetisch schon gut dargestellt.

Anders ist es mit der Frage nach richtig und falsch. Die Frage ob eine Handlung moralisch richtig oder falsch ist, lässt sich anhand von Kriterien treffen, die nicht die Wertung der anderen Person, die bei gut und böse immanent sind, sondern die Handlung in den Mittelpunkt stellen. Es ist also möglich mit anderen Personen unabhängig von ihrer Persönlichkeit über die moralische Richtigkeit der Handlung zu sprechen. Deswegen ist richtig und falsch nicht nur die bessere Richtschnur für das eigene Handeln, sondern auch die Kategorie mit der und über die sich Diskurs gestalten lässt.

Gut und Böse sind Fremdzuschreibungen, während richtig und falsch Analysekategorien sein können. Damit ist natürlich die Frage offen, wie jetzt eine Handlung beurteilt werden kann.

Gründe – Intention – Ergebnis

Wenn eine Handlung moralisch bewertet werden soll, dann müssen die drei oben genannten Ebenen betrachtet werden. Diese sind miteinander verbunden, wobei aus der Sicht vieler Menschen das Ergebnis natürlich immer eine hohes Gewicht hat, obwohl diese Analyseform die Trügerischste ist. Nur weil einem das Ergebnis gefällt, heißt das nicht, dass die Handlung gutzuheißen ist. Denn auch die Gründe und die Absicht, die mit einer Handlung verbunden sind, bestimmen, ob diese tatsächlich moralisch richtig oder falsch ist. Die Folterung eines Kriminellen zur Rettung eines Kindes, ist falsch, egal wie sehr das Kind überlebt. Die Ermordung eines Diktators ist moralisch genauso falsch, wie die Bombardierung von Terroristen. Alle diese Handlungen haben gemein, dass die Ergebnisse positiv sein können, ((Und es langfristig dann eben aufgrund ihrer Mittel doch ihre positive Wirkung nicht entfalten.)) aber die Begründungen und Absichten, die dahinter stehen das Ergebnis entwerten.

Deswegen ist es eben nicht möglich aus den falschen Gründen das Richtige zu tun. Die falschen Gründe machen es schon falsch.

Fazit

Und damit komme ich zurück zum Impuls für diesen Text. Moral als Selbstzuschreibung ist tatsächlich schädlich für jeden Diskurs, weil es hier nur darum geht, dass jede beteiligte Person sich selbst die höhere Position zuschreiben will. Was aber dringend Thema im Diskurs sein sollte ist die Bewertung von Handlungen und die Prämissen nach denen das getan werden soll. Denn über Werte wird viel geredet, wenn es darum geht die Person gegenüber abzuwerten, aber wenig wenn es darum geht, welche überhaupt das gesellschaftliche und persönliche Handeln leiten sollten und welche Kriterien diesen Werten zugrundeliegen.

Works for Me – Diskurs und Identität

So, wir kommen zum soziologischen Kaffekränzchen zurück. Es gibt da jetzt einen Tag für. Nachdem ich mich das letzte Mal auf die Erklärung der Schwierigkeiten beim finden von Diskursen bezogen haben, hat die Vrouwelin das einmal zusammengefasst und so geendet:

Und doch höre und lese ich Stimmen, die darauf hinweisen, dass es mit den rechten Stimmen in der heutigen Gesellschaft und Politiklandschaft eh keinen Diskurs geben kann, dass es heißt, wir oder die. Ich befürchte, dass das der momentanen Realität deutlich näher kommt. Mit rechts-extremistischem Gedankengut ist nicht zu verhandeln, weil es menschenfeindlich ist. Und dabei ist es egal, wie weit diese Einstellungen in die „Mitte“ eingesickert sind, sie werden dadurch nicht verhandelbarer. Doch wenn mit den Einstellungen von dreißig bis teilweise fast siebzig Prozent der Bevölkerung nicht mehr zu verhandeln ist? Wie funktioniert Demokratie wenn große Teile der Bevölkerung sie nicht mehr wollen? Weil sie zum Teil nicht wissen, wie es geht?

Als ich das so las, musste ich an einen weiteren Impuls denken, der mir die Tage gegeben wurde. Nämlich die Frage nach der Identität. Die grundlegende Idee „wir oder die“ widerstrebt mir nämlich zutiefst, kann eine Gesellschaft doch nur funktioniert, wenn ihre Mitglieder ein grundlegendes „wir gemeinsam“ Gefühl haben. Und so kommt es auch, dass das Motto des diesjährigen Chaos Communication Congress in die Überschrift geschlichen hat. Auch dieser beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern gesellschaftliche Probleme nicht auch gesellschaftlich gelöst werden müssen. Works for me ist dabei die Aussage, dass man sich ja nicht um Probleme kümmern muss, wenn sie einen selbst nicht betreffen. Das funktioniert nur für gesellschaftliche Probleme nicht. Bringen wir jetzt die beiden Linien das erste Mal zusammen, dann scheint das wichtigste Problem, das der Identität zu sein. Doch, wo kommt eigentlich unsere Identität her?

Identität ist eine Konstruktion, wie alles das wir so in unserem Kopf haben. Sie ist ein Ergebnis von Kommunikation mit unserer Umwelt und etwas, das wir für zutiefst für wahr halten, während es gleichzeitig eine der größten Lügen ist. ((Igitt wie philosophisch…)) Menschen sind also das, was sie denken, das sie sind. Diese Identität wird aber auf zwei Arten während unserer andauernden Sozialisation generiert. Die übliche Variante funktioniert durch negative Selbstzuschreibung. Das bedeutet, dass Identität darüber generiert wird, dass die Person ein außen wahrnimmt und sich von diesem Außen abgrenzt. Daraus wird dann gedacht, dass sich auch ein definiertes Innen also eine definierte Identität ergibt. Das ist aber nicht wahr. Die unübliche Variante, der positiven Selbstzuschreibung generiert eine Identität, in dem die Person selbst sagt, wer sie ist und warum. Damit ist die Identität allerdings positiv besetzt, weil die Person sie sich selbst gegeben hat. Doch, wie gesagt, die Standardvariante ist die negative Zuschreibung darüber, dass die Person sagt, wer sie nicht ist. ((Schonmal aufgefallen, dass das die AfD Methode ist? Sie ist so einfach, weil die meisten Leuten genauso ticken.)) Diese Art von Identitätsgeneration führt dann wieder zurück zum 33c3 Motto, denn nur aus dieser Identitätsvorstellung, des ich bin nicht wie die anderen, kann man sagen „Works for me“ und daraus schließen, dass die Interessen der anderen egal sind. Die sind ja diejenigen gegen die sich abgegrenzt wird. Die positive Selbstzuschreibung wiederum eröffnet die Möglichkeit andere Menschen anzuerkennen, weil die Person selbst möchte, dass ihre Identität, die sie sich gegeben hat anerkannt wird. 

Und damit kommen wir zum Neuzugang am digitalen Kaffeetisch Kolame hat sich hinzugesetzt und auf eine bewundernswert-erschreckend soziologisch-systemtheoretische Art, die Rolle der Moral im Diskurs thematisiert hat. Eine Frage, die sie stellt ist:

Wie kriegt man die Personen wieder in einen Raum, ohne aber in vormoderne und noch sexistischere (als heute), patriachelere (als heute) und diskriminierende (als heute) Diskurspraktiken zurückzufallen?

Ich denke eine Antwort ist, dass dieser Diskurs, den sie da beschreibt, sich über Identitäten generiert und damit über die Betonung von Unterschieden, die viele dringend benötigen um sich sicher zu sein, wer sie sind. Dabei gilt dann „Works for me“ als Ausgangspunkt für Kompromissbereitschaft und das ist dann das Problem. Wenn es das Ziel ist, dass die verschiedenen Gruppen wieder miteinander in den Diskurs treten, dann muss neben den ganzen technisch-praktischen Problemen, die erörtert wurden, auch ein Raum geschaffen werden, in dem Identität in den Hintergrund tritt. Ein sozialer Raum in dem das wer ich bin nicht so wichtig ist, wie das was ich möchte. In dem aus dem „works for me“ ein „works for us“ oder wenigstens ein „works for most of us“ wird.

Der Weg zu diesem Raum kann aus meiner Sicht nur über zwei unterrepräsentierte Konzepte aus dem pädagogischen Arsenal führen: zum einen Selbstfindung als Kulturtechnik, zum anderen Empathie. Ich kann zu beidem sagen, dass es im Schulsystem nicht stattfindet und kein Ziel ist. Gleichzeitig stelle ich gerade dieses Schuljahr fest, dass Empathie etwas ist, dass Schüler*innen kaum erleben und das Selbstfindung eine Sehnsucht und ein Gegengift zur allgegenwärtigen Zukunftsangst ist, die sie erleben. Doch diese Eigenschaften und Kulturtechniken brauchen direkte Kommunikation und einen Diskurs in dem Identitäten und Rollen unwichtig sind. Beides ist in Schulen leider selten.

HCH020 Nach Trump

Ich blicke zurück auf die Wahl, mit etwas Abstand und mit etwas weniger Wut im Bauch über den großen kollektiven Wahnsinn, der da über uns im Nachhinein hereingebrochen ist. Es ist eher eine Zusammenfassung, als eine Analyse und ein Blick auf das, was daran an unserer Gesellschaft zu erkennen ist.

Am Ende gibt es den Versuch eines Vorschlags, wie die angebliche Entwicklung, die diese Wahl auslöst aufzuhalten ist.