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HCH065 Kommunikation 1 - Grundlagen

Dies ist der erste Teil einer kleinen Serie über Kommunikation. Diesmal geht es um die Grundlagen. Ich erkläre was zu Sprache und dem Verstehen von Kommunikationsakten.

Shownotes

Keine Spiele…

Wer uns beim Soziologischen Kaffeekränzchen schon zuhört, der weiß schon, dass das Soziale eher so schwierig ist und zwischen Menschen sehr viel abgeht und es gleichzeitig komplex ist. Die sozialen Medien, die eigentlich gar nicht so sozial sind, haben das nicht leichter gemacht.

Und so fängt dieser Eintrag mit ein paar Erkenntnissen an und mäandert sich in eine Handlungsaufforderung hinein. Bleibt dabei, es kann sich lohnen.

Also, generell neigen soziale Beziehungen dazu, dass Kommunikation in ihnen kommunal definierten Konstrukten entsprechen soll. Ein kommunal definiertes Konstrukt ist ein Stückchen heimlicher Konsens darüber wie eine Person und eine soziale Gruppe über ein bestimmtes soziales Phänomen zu sprechen und bevorzugt auch zu denken hat. Es definiert also, was zu einem Sachverhalt sagbar ist, und wer auf welche Art spruchfähig ist. Das ist natürlich ganz großer Quatsch. In einer sozialen Beziehung sind erst einmal alle Menschen gleich spruchfähig und alles ist sagbar. Die Konsequenzen errechnen sich aber aus den kommunalen Konstrukten, an die sich alle anderen erst einmal implizit halten. Die sozialen Strafen, die für das unhinterfragte Einhalten dieser Konstrukte gezahlt werden, sind aber fast genauso groß wie diejenigen, die es für das Nichteinhalten zu zahlen gibt. Um genau zu sein, sind diese Strafen sogar garantiert, während es bei Nichteinhalten immerhin die Chance geben kann, dass sich etwas an der kommunikativen Landschaft um einen herum ändert. Doch, die kommunalen Konstrukte sind stark und die Leute glauben, dass das Gerümpel, dass ihnen qua Sozialisation ins Hirn gelegt wurde, in ihrem Leben so imperativ sind, dass es sofort an die eigene Identität geht, wenn das Verhalten der Person gegenüber unerwartbar wird. Dabei wäre es eine große emanzipatorische Leistung, wenn diese Menschen die Konstrukte erkennen und reflektieren können und das ist nur die pädagogische Seite. Wichtiger ist noch: es würde viel persönliches Unglück vermeiden. Denn die Erfahrung der konstanten Identitätskrise ist weder sonderlich angenehm noch einem gesunden Leben förderlich.

Das ist jetzt schon eklig, furchtbar und ein Problem, doch es hört da nicht auf. Die Tatsache, dass viele Menschen vieles für unsagbar halten, führt dazu, dass sie versuchen Kommunikation auf impliziten Ebenen zu führen. Dabei muss die Person, die da kommuniziert davon ausgehen, dass ihre Sendung so verstanden wird, wie sie gemeint ist. Da aber implizit kommuniziert wird, kann sich der Sender gar nicht sicher sein, dass der Empfänger das „richtige“ versteht. Das ist schon bei direkter Kommunikation ein großer Spaß, herauszufinden, ob und wie man verstanden wurde. Implizit ist es Gänseblümchensuchen im nächtlichen Minenfeld. Das hält Menschen natürlich nicht auf. Direkte Ansprache ist meist aus Gründen der eigenen als wahr und unumstößlich angenommenen kommunalen Konstrukte nicht möglich, weil es dann ja wieder an die eigene Realität und Identität geht und Verwundbarkeit ja die Katastrophe an sich ist. Also wird versucht implizit über diese kommunalen Konstrukte zu kommunizieren. Da wird es halt spaßig, wenn die andere Person die Konstrukte nicht teilt, oder aber kennt und dann ignoriert. Die Peinlichkeit des ganzen Verfahrens ist also greifbar. Man könnte auch sagen: das sind alles Spiele, die gespielt werden, damit Menschen ihre eigene Welt in Konsistenz halten. Kognitive Dissonanz ist halt schrecklich und wenn man im Rahmen der eigenen kommunalen Konstrukte kommunikativ handelt, dann glaubt man, dass das auch die passende Wirkung hat. Nichts ist natürlich weiter von der Wahrheit entfernt. Direkte Kommunikation ist die einzige, die uns am Ende die Möglichkeit des Verstandenwerdens ermöglicht. Aber diese bürgt halt auch die Möglichkeit, dass man selbst verstehen muss, dass die eigene Welt und die eigenen Vorstellungen nicht kongruent mit der Welt und der Realität der anderen Menschen um einen ist und im Zweifel vielleicht nicht mit der von Menschen, die einem etwas bedeuten. Im Ernstfall können da halt komplette Lebenslügen auffliegen und das ist furchtbar. Also, schön indirekt kommunizieren und hoffen, dass die Welt schon mitkriegt was gemeint ist. Oder anders: schön Spiele spielen.

Und damit sind wir an der Stelle, wo wir von der Analyse zur Handlungsaufforderung kommen. Liebe Leserschaft, versucht nicht Spiele zu spielen. Ich selbst habe langsam keine Lust mehr darauf und ich kann verstehen, warum es vielen anderen Menschen auch so geht. Wir haben das alle nicht nötig, und wenn wir glauben, dass wir es nötig haben, sagt das doch auch etwas und das ist nicht charmant.

Also… keine Spiele. Wir haben besseres zu tun…

Diskursfindungsschwierigkeiten

Um auch weiterhin den Eindruck zu erwecken, dass sich hier das soziologische Kaffekränzchen Rundbriefe schreibt, möchte ich mich diesem Artikel vom sozioblogen äußern. Er verlangt danach, dass wir wieder mehr Diskurs brauchen. Dieser weisen Erkenntnis stimme ich zu. Mein Beitrag ist eher als Analyse gedacht, wo denn der Diskurs überhaupt hin verschwunden ist. Auch hier gilt mal wieder, wenig neues, aber wenn nicht bekannt ist, wo etwas herkommt, wird es mit dem wegkommen noch schwieriger.

In meiner Jugend…

Opa erzählt vom Krieg, oder besser von der Welt vor dem Jahr 2000. Da hatte er ein Festnetztelefon, einen Computer, der nicht an das Internet angeschlossen war und ein Fahrrad. Die Diskussion über Politik war gestützt auf Zeitung, Fernsehen und direkte Sprache. Wenn etwas medial neu geschehen ist, dann war das Einzige, was einen davon abhielt keine Ahnung davon zu haben, wovon der Rest sprach, kein Privatfernsehen zu haben.

Das Netz ist toll! wait…

So, und jetzt ist Medienwandel. Print liegt in den letzten Zügen, Radio ist nur noch Gedudel, Fernsehen ist für Rentner, Facebook ist für Rechte, twitter für Linke und die Jugend ist auf Snapchat ((oder so…)). Das ist so ungefähr und damit muss jetzt mal umgegangen werden. Es bedeutet aber auch etwas: der gesellschaftliche Diskurs ist komplett zersplittert, denn der Ort der ihn bisher vereinigt hat, sind die Massenmedien. Der Diskurs von Mensch zu Mensch wird dabei immer schwerer. In der Schule kann man erleben, dass Klassen keine Klassengemeinschaft mehr bilden, weil die Menschen, die im selben Raum sitzen, einen virtuellen sozialen Raum über den halben Landkreis aufspannen.

Das bedeutet dann aber auch, dass die Leute eben nicht mal mehr miteinander reden müssen, wenn sie im selben Raum sitzen. Und wir Lehrer wollen eigentlich auch, dass sie nur über unsere Themen reden, wenn sie miteinander reden. Der Diskurs mit anders denkenden Menschen ist also maximal mit Lehrern möglich, aber die sind soziales Hintergrundrauschen. Es ist für die meisten Leute technisch unmöglich einen Diskurs mit einer andersdenkenden Person zu führen.

Da die sozialen Medien dazu neigen den Nutzern nur Inhalte vorzuzeigen, die zur eigenen Weltwahrnehmung passen, also werden andere Weltsichten so antagonisiert, dass sie nur noch böse sind. Die einfachen Lösungen halt. Es wird aufgrund der enormen sozialen Beweislast gedacht, dass man selbst definitiv nicht falsch liegen kann, weil alle anderen es ja auch so sehen.

Das sind alles Bedingungen, in denen sozialer Diskurs eigentlich fast unmöglich geworden ist, außer er ist unvermeidbar, wie in Schulen oder größeren sozialen Anlässen, aber selbst da wird ja nicht mehr geredet, sondern gechattet und fotografiert.

Also, ja wir brauchen mehr Diskurs, aber vorher muss erstmal das Problem gelöst werden, dass die unterschiedlichen Gruppen wieder im selben Raum sind.

Inhalte und Beziehungen – ein kleiner Guide zur Kommunikation

Das Soziale ist ja eher so schwierig. Es mag den meisten Menschen nicht so erscheinen, aber tatsächlich beschäftigt sich ein größerer Teil unseres Gehirns mit Kommunikation und Informationsverarbeitung sozialer Signale und liegt dabei gerne immer noch falsch. Doch es gibt ein paar Sachen, die man so generell mal über soziale Interaktion wissen kann, damit etwas besser versteht, was da passiert.

Kommunikation bedeutet eigentlich nur Zeichenübertragung. Sehr oft wird darunter Sprache verstanden, egal ob geschrieben oder gesprochen ((Da gibt es riesige Unterschiede. Soviel sei einmal gesagt: geschriebene Sprache ist ein Zeichensystem das auf der gesprochenen Sprache basiert.)). Doch wir benutzen noch ein paar Zeichen mehr als das und gerade Sprache kann sehr gut verschleiern, was die Menschen wirklich sagen. Doch dazu gleich mehr, erstmal interessiert uns die Frage, was eine Botschaft beinhaltet.

Dazu gibt es ein paar Standardtheorien. Diejenige, die man auf jeden Fall mal gehört haben sollte, wenn man etwas unmündiger kommunizieren will, ist die von den vier Seiten einer Nachricht.

700px Vier Seiten Modell de svg

Eine Nachricht hat also immer vier verschiedene Aussagen, die vom Sender und Empfänger unterschiedliche betont werden können. Dazu benutzen wir den Beispielsatz: „Es ist aber sehr stickig in diesem Raum.“

Zum einen ist eine Nachricht immer eine Aufforderung an den Empfänger. Die Appellseite unserer Aussage ist: „Mach mal das Fenster auf.“

Dazu gibt der Sender der Nachricht etwas über sich preis. Nämlich, dass er die Luft im Raum für stickig empfindet, es ihm also zu warm ist.

Dazu ist der Satz natürlich auch eine Sachaussage. Die Luft im Raum wird als stickig wahrgenommen.

Und sie ist eine Aussage über die Beziehung von Sender und Empfänger. Der Sender ist auf den Empfänger angewiesen, er möchte, dass dieser das Fenster öffnet. Dazu möchte er aber auch die Zustimmung des Empfängers zu seiner Sachaussage haben. Man kann natürlich auch sagen, dass der Sender einen Befehl sendet.

Soweit zur Theorie, doch was bedeutet das jetzt? Eine Nachricht hat immer diese Seiten und der Sender sucht sich in seiner Intention eine aus. Der Empfänger empfängt aber auch alle vier und kann sich fragen, was denn das alles bedeutet und ob eine der anderen Seiten nicht auch etwas verrät, was der Sender eigentlich gar nicht so sehr preisgeben wollte. Der Sender kann natürlich auch Botschaften verstecken, die er dem Empfänger so mitgeben will. Als Lehrer lernt man sowas aktiv auszunutzen.

Doch bleiben wir kurz bei der Beziehungsebene und der Sachebene. Diese beiden werden gerne verwechselt und bieten damit viel Ansatz für Kummer in menschlichen Beziehungen. Dazu wird die Beziehungsebene sehr oft benutzt um etwas auf der Sachebene zu erreichen. Die Vermengung von Sach- und Beziehungsebene ist vor allem in engen sozialen Beziehungen üblich und man muss schon sehr dagegen wehren, dass die Bedrohung mit Beziehungsänderung nicht dazu führt, dass man auf der Sachebene nachgibt. 

Doch das ist nicht alles. Die Aussagen einer Person beinhalten nicht nur Selbstoffenbarung, man kann sie auch mit dem Vergleichen, was eine Person tut. Handlungen sind auch Nachrichten im obigen Sinne, das bedeutet, dass wenn Menschen etwas tun oder auch nicht tun, dann hat diese Handlung auch diese Seiten und kann mit dem, was Menschen sagen, in Beziehung gesetzt werden. Das führt dann öfter mal zu der unangenehmen Erkenntnis, dass das Gegenüber nur quatscht, um davon abzulenken, dass es etwas tut, dass eigentlich soziale Nachteile mit sich zieht. Diese Inkonsistenzen sind zwar sehr menschlich, wenn sie aber in Beziehungen auftreten und jemand im Endeffekt die ganze Zeit durch seine Handlungen lügt, wird es schwierig. Vertrauen zwischen Menschen entsteht durch diese Konsistenz von bedeutungsvoller Handlung und verbaler Aussage und wird durch Inkonsistenz beschädigt.

Deswegen sollte man immer genau schauen, was andere Menschen sagen, wie sie es sagen und was sie tun.

Der Hölle der impliziten Erwartungen

The thing is, I mean, there’s times when you look at the universe and you think „What about me?“ and you can just feel the universe replying, „Well, what about you?“

Thief of Time -Terry Pratchett

Wer sich für Musik interessiert kennt das Phänomen bestimmt: die Lieblingsband bringt eine neue tonträgersimulierende Sammlung komprimierter Audiodateien heraus ((Für die Retrofans gibt es die auch noch auf einem physischen Speichermedium.)) und man ist furchtbar enttäuscht, weil das total anders klingt oder andere Texte hat und das nicht mehr die Band ist, in die man sich damals verliebt hat. Das gilt natürlich auch für alle anderen Arten von künstlerischer Äußerung. ((Siehe den Aufschrei, den es hierzublog machen würde, wenn ich auf einmal Beautytips geben würde…)) Nun kann man über Geschmack nicht streiten, ((Das ist natürlich auch Quatsch. Man kann, nur ist es halt Zeitverschwendung.)) über die Vermittlung von Geschmacksurteilen dafür sehr wohl. Und da sind Musik-, Kunst- und Literaturfans allesamt von der selben allzu menschlichen Wahrnehmungsstörung geschlagen. Sie denken nämlich alle, dass die Kunsttreibenden sich an implizite Erwartungen halten müssen, die von Konsumentenseite an sie gestellt werden. Dabei sitzen sie zwei klassischen Wahrnehmungsverzerrungen auf, die auf der einen Seite bis zur Banalität normal sind, auf der anderen Seite eine äußerst amüsante Auswirkung auf den Diskurs über Musik haben.

Diese Wahrnehmungsverzerrungen sind zum einen eine Überbewertung der eigenen Befindlichkeit gegenüber dem was der Künstler davon wahrnimmt ((Das wäre übrigens: nix!)) und der Befindlichkeit des Restes der Konsumierenden, und zum anderen die relative wirtschaftliche wie diskursive Macht, die der Einzelne gegenüber dem Künstler hat.
Das Erste ist dabei die Wurzel des Zweiten und tatsächlich eine klassische Wahrnehmungsverzerrung. Der Glaube, dass die eigene Befindlichkeit irgendetwas jenseits der Schaffung des eigenen Unglücks in der Welt bewegt, ist weitverbreitet und stammt daher, dass Menschen gerne die Welt hinter ihren Augen für realer halten, als das was tatsächlich stattfindet. In seinem Aufsatz „This is Water.“ argumentiert David Foster Wallace, dass es ein Zeichen einer geisteswissenschaftlichen Ausbildung ist, dass es ein Zeichen dafür ist, dass man gut an die Gesellschaft angepasst ist, wenn man diese Blockade überwinden und über den Rand des eigenen Hirns hinausblicken kann. ((Er sagt well-adjusted das bedeutet mehr und ich weiß nicht, ob ich ihm recht geben soll. Immerhin ist eine geisteswissenschaftliche Ausbildung nicht der einzige Weg ein anständiger Mensch zu werden.)) In diesem Fall bedeutet es natürlich, dass absolut jeder Hörer der Meinung ist, dass sein Empfinden über die musikalische Entwicklung eines Künstlers Gehör finden sollte, und zwar sofort und unbedingt. Dabei dreht sich dieser Künstler nicht einmal gestört im Schlaf um, wenn man verzweifelt Nadeln in seine Voodoopuppe steckt. Die eigene Befindlichkeit hat also keinen Einfluss auf irgendwas in der Welt, außer dem eigenen Unglück, dass man sich produziert. ((Mir wäre das ja zu blöde.))
Die zweite Verzerrung ist die Fehlwahrnehmung der eigenen medialen und ökonomischen Reichweite, wobei die Überschätzung der eigenen medialen Reichweite das grundlegende Problem ist und viel mit den modernen sozialen Netzwerken zu tun hat. Zwar kann jeder  heutzutage einen shitstorm lostreten, allerdings ändern diese Phänomene selten etwas an dem, was ihr Ziel tut. Im Zweifel verstärken das Ziel sogar das angeprangerte Verhalten, immerhin ist jede Art von Publicity gute Publicity. Dazu bleibt das Ziel meist berühmt, während man selbst ungefähr eine Woche vergessen ist. ((Naja, okay. Du kannst dann immer noch Publizist und Berater werden.)) Der Wirkungsnachweis dieser ganzen Sachen ist halt nicht erbracht, egal ob es negative Amazonbewertungen, fiese Gästebuchein- und Facebookbeiträge oder klassische shitstorms sind. ((Okay, außer man hat die kriminielle Energie der Gamergater… aber dafür reicht es ja zum Glück bei den meisten Menschen nicht.)) Im Zweifel ist die auslösende Person das Arschloch und schnell verschwunden. Das Traurige an der ganzen Sache ist, dass man sich das alles hätte sparen können, wenn man sich selbst nicht so ernst nimmt.

Das wird natürlich schwierig, wenn der eigene Job davon abhängt, dass man etwas irgendwie finden muss. Der klassische Aphorismus ist, dass man als Kritiker nichts können muss, außer meckern. Dabei helfen die impliziten Erwartungen, die gerade schon als Basis vielen persönlichen Unglücks analysiert wurden, natürlich sehr und es ist egal ob es die eigenen sind, oder diejenigen die man glaubt bei anderen Menschen auszumachen. Wichtig ist dann noch diese als objektiv darzustellen anstatt als das zu kennzeichnen, was sie sind, nämlich Befindlichkeiten und schon schreibt sich das enttäuschte, wütende oder hochzufriedene Review von allein. Es hat zwar keinen Mehrwert, aber man hat was gesagt und im nächsten Interview mit dem Künstler kann man dann auf die eigene Wahrnehmung als pseudo-objektive Größe referenzieren, als sei relevant. ((Das führt dann zu einem meiner Lieblingsgenres im Musikjournalismus: dem sinnlosen Künstlerinterview, bei dem die Künstlerin sich fragt, über wessen Werk sie da gerade mit dem Journalisten redet.)) Und dann kommt es zu dieser wunderschönen Schieflage, dass die enttäuschten Fans sich von den faselnden Schreiberlingen bestätigt fühlen, weil die auch nur die Befindlichkeiten der ersten spiegeln. Gibt halt mehr Abos als eine kriterienbasierte Beurteilung, die irgendwie Aufgabe hier wäre. Es spricht nichts dagegen eine vergleichende Bewertung abzugeben, aber Geschmacksurteile basierend auf Befindlichkeiten sind wertlos und zeugen maximal von den Wichtigkeitsneurosen der Autoren, als ihrer Fähigkeit künstlerische Tätigkeiten zu beurteilen. Es heisst, dass man sich über Kunst, Literatur und Musik vortrefflich streiten kann, deswegen sollte der eigene Geschmack weniger ins Gewicht fallen als  die Bewertung der künstlerischen Leistung. Da ist schon genug Geschmack drin.
Aber gut, es ist ja zu verstehen, dass es besser wirkt, wenn man Künstlern vorwirft sich in die falsche Richtung zu entwicklen, egal in welche das ist, ((Oder wahlweise Stagnation, die geht auch immer.)) denn da ist Konflikt und der verkauft sich. Für eine Bewertung, die zu einer sinnvollen Einschätzung führt, gibt es halt weniger Klicks als für einen Verriss. Den klicken auch diejenigen öfter an, die ihn für blöd halten.

Und da wird es dann halt auch eklig. Sitzt die einzelne Person noch Wahrnehmungsverzerrungen auf, wird es im medialen Bereich schnell zum wirtschaftlichen Kalkül nicht zu berichten sondern zu polarisieren. Dagegen sein ist besser als es irgendwie schon okay zu finden, egal auf welchen fiktiven Gründen dieses dagegen nun basiert. Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit sind wirtschaftlich untragbar, machen weniger Spaß und helfen beim Bekämpfen von Minderwertigkeitskomplexen halt mal gar nicht.

Da kann man eigentlich froh sein, wenn man Zeug einfach nur privat doof finden kann.

Hoffnungsvolles Reisen

Im kleinen, aber feinen Anti-Ratgeberbüchlein Anleitung zum Unglücklichsein von Paul Watzlawick gibt es ein Kapitel, das sich mit dem Ankommen beschäftigt. Im Tone des Büchleins warnt Watzlawick davor an irgendeinem Ziel im Leben anzukommen. Denn das Ankommen bedeutet zwar etwas erreicht zu haben, aber auch die Erkenntnis, dass man keinen Sinn und Zweck mehr hat, dem man folgt. Watzlawick zitiert hier George Bernard Shaw, der sich auf Oscar Wilde bezieht, wenn er eine Figur in seinem Wert Man and Superman sagen lässt, dass es zwei Tragödien im Leben gibt: die Nichterfüllung eines Herzenswunsches und dessen Nichterfüllung.

Natürlich sind wir enttäuscht, wenn sich unsere Wünsche nicht erfüllen, doch wir sind auch unglücklich, wenn wir sie erfüllt bekommen. Denn dann haben wir ja keinen Herzenswunsch mehr und egal welches Glück man beim Erfüllen des Wunsches empfinden, bald verschwindet diese Freude und wird durch den Tod der Gewohnheit ersetzt. Als ich meine Zulassungsarbeit für das Staatsexamen abgegeben und mit einer zwei bewertet bekommen habe, war ich sehr stolz und glücklich auf sie. Heute, knapp sieben Jahre später, kriege ich primär Augenrollen, wenn ich dieses Geschreibe lesen muss. Ich zeige das, auch regelmäßig mit einem leicht gequälten Gesichtsausdruck meinen Schülerinnen und Schülern als gutes Beispiel und bin doch selbst der Meinung, dass es heute für mich keine Leistung mehr ist. Unsere Ziele sind, wenn wir sie erreicht haben sehr schnell nur noch Grund für einen Kater und neue Ziele. ((Das ist einer der Gründe, warum es hier die Rubrik Projekte gibt… Damit ich Ziele habe, die ich erfüllen will und meinen Fortschritt sehe.))

Doch gibt es auch Herzenswünsche, die keine Ziele, sondern Zustände oder Prozesse sind. Hier bedeutet Ankommen dann meist auch noch, dass die Realisierung ansteht, dass das Ende an das man gekommen ist, gleichzeitig bedeutet, dass dieser Herzenswunsch an sich gescheitert ist. Sei es das erträumte Studium, der tolle Job bei der Traumfirma oder aber die romantische Beziehung, wenn man an deren Ende ankommt ((Und man wird. Selbst lange glückliche Ehen enden. Meist am Grab eines der beiden Partner.)), kann man auf einen glücklichen Prozess zurückblicken, ist aber nur traurig um das Ende und erlebt den Katzenjammer. Dieser ist umso größer je höher die Investition in diesen Prozess oder Zustand gewesen ist. Und nicht immer enden solche Prozesse und Zustände wirklich, sondern scheitern leise und laufen formal weiter, allein schon, weil die Beteiligten nicht möchten, dass sie scheitern. Deswegen werden untragbare Arbeitnehmer nur schwerfällig gefeuert, Teams langsam aufgelöst und tote Beziehungen zu Zombies.

Und von innen sagen die Beteiligten dann, dass noch Hoffnung haben, dass sie dem Arbeitnehmer noch vertrauen und dass die Tatsache, dass sie ihren Partner seit einem halben Jahr nicht gesehen haben nicht bedeutet, dass sich beide nicht himmelhoch lieben. Man reist also hoffnungsvoll weiter, obwohl die Endstation schon erreicht wurde und der Bus nun auf einen steilen Abgrund zurollt, auf den aufzuschlagen man sich hätte sparen können, wenn man an der Endstation ausgestiegen wäre. Aber dann ist die manchmal nicht gut beleuchtet oder man hat sich gerade umgedreht um die Kinder aufm Rücksitz zu versorgen, bevor der Partner einen verlässt oder man hat mit Gewalt die Augen zusammengekniffen, um das Wort „End“ nicht am Schild zu sehen.

Und so reist man hoffnungsvoll weiter, bis man nur noch zurückblicken und im Katzenjammer hoffen, dass man nicht so lange hoffnungsvoll gereist ist, dass die Gesamtstrecke aus mehr Selbsttäuschung als aus schöner Landschaft bestanden hat.