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Rocky Horror und der unverklemmte Umgang mit Sexualität und Geschlecht

Heute ist einer von diesen Tagen… deswegen geht es jetzt mal um die Rocky Horror Picture Show und Gender und Sexualität, weil es da durchaus ein paar lustige Perspektiven gibt, die immer noch aktuell sind. Doch fangen wir vorne an. Ich hoffe ihr kennt den Film ((Hallo?, das ist ein Klassiker! Wenn nicht ansehen!)), ansonsten gibt es hier Spoiler. Bei allem, was ich hier so erzähle vergesst übrigens nicht, dass der Film immer noch ab 12 ist.

Also, die Rocky Horror Picture Show, das Anti-Musical, das Richard O’Brien schrieb, nachdem Lloyd Webber ihn nicht als Sänger haben wollte, zieht sexuelle Verklemmtheit mit einem gehörigen Maß Horror durch den Kakao. Es ist am Ende eine Geschichte zweier junger durchgeklemmter Durchschnittsamerikaner der 70er, die mit der motorisierten Kettensäge befreit werden. Doch schauen wir uns erstmal Brad und Janet an:

Wir sehen schon hier, Brad ist total unsicher und Janet eine oberflächliche Tante. Bonuspunkte für American Gothic an der Tür der Kirche. Spannender ist noch, dass Brad drei Optionen für den Verlauf einer Liebe hat: gut, schlecht und mittelmäßig, wobei letzteres irgendwie die unschönste Variante ist. Brad kann sich dazu mal überhaupt offen artikulieren und antwortet auf Janets „I’m mad for you.“ „I love you, too.“ Alles in allem total verklemmte Einheitsbeziehungsbrei, dem gesellschaftliche Glück zugeschrieben wird.

Das ändert sich Mitten in der Nacht, wenn die beiden in Frank’n’Furters Schloss ankommen. Schon die Begrüßung trieft vor Innuendo, wenn Riff Raff Janet mit dem Satz „You’re wet.“ begrüßt und dann in den berühmten Time Warp startet:

Außer, dass das alles schon angemessen durchgeknallt ist, besteht der Tanz, der dem Publikum beigebracht wird, und den schönen Namen „Pelvic Thrust“ ((Schaut’s selbst nach…)) trägt, aus relativ eindeutigen Bewegungen. Janet fällt dann auch gleich mehrfach in Ohnmacht, während Brad versucht furchtbar männlich zu sein in dem er sie beschützt und die Kontrolle behält, während er diese schon bei geplatzten Autoreifen ((Gummi…)) abgegeben hat.

Nach dieser Vorstellung fangen wir dann an mal etwas tiefer einzusteigen, wenn Frank’n’Furter ((In der Neuverfilmung übrigens als Transfrau/Drag Queen mit dem Pronomen she. Whatever floats your boat.)) mit dem Fahrstuhl in die Szene herabfährt und Janet wieder in Ohnmacht fallen lässt:

Franks Crossdressing und seine generelle ironische Verachtung von Brads Ernsthaftigkeit zeigen schon, dass in seiner Welt alle Regeln nicht gelten, die Brad und Janet für angemessen halten. Frank überschreitet binnen kürzester Zeit einmal alle Grenzen und seine Selbstbezeichnung als „Sweet Tranvestite from Transsexual Transsilvania“ macht es nicht einfacher. Er beschließt die beiden jungfräulichen Spießer mit in sein Labor zu nehmen, um ihnen sein Experiment zu zeigen. Dafür werden Brad und Janet bis auf die Feinrippunterwäsche ausgezogen und verwundbar unter jede Menge sehr formell oder anzüglich gekleideter Menschen gestellt. Wie in „Sweet Transvestite“ angekündigt möchte er seine Kreation Rocky zum Leben erwecken. Das ultimative Spielzeug für den moralisch bankrotten Omnisexuellen, der er ist. Das passende Lied heißt dann auch „I Can Make You a Man“ und trieft vor Innuendo. Die Tatsache, dass Janet langsam auftaut und den weitaus „männlicheren“ Rocky ziemlich geil findet, zeigt dann auch die Wege auf, die Brad und Janet gehen. Während Brad immer mehr in eine Krise der eigenen Männlichkeit fällt, befreit sich Janet langsam. Das fängt mit ihrer Begeisterung für Rockys Muskeln an, geht dann aber in eine Tiefe, die sich in der Floor Show zeigt. Doch vorher kurz zu Eddie und Columbia und das nicht nur, damit ich diese musikalische Meisterleistung verlinken kann:

Der Stuntman fiel übrigens bei Versuch 1 mit dem Motorrad vom Vorsprung und verletzte sich dabei. Wir können sehen, dass Columbia den eher unangenehmen (und vielleicht sogar leicht misshandelnden) Eddie doch vergöttert und er Zeichen seiner Zuneigung zeigt. Das ist vielleicht die einzige halbwegs gesunde Beziehung hier, zwischen dem Groupie und dem rücksichtlosen Ex-Lieferjungen. ((Dazu später mehr…)) Was nur zwischen den Zeilen klar wird: Eddie teilt sich das Hirn mit Rocky. Ist aber eh, egal, weil Eddie ist ja dahin und Columbia ernsthaft im Herzen gebrochen.

Frank’n’Furter interessiert das alles nen Scheiß. Er hat seinen Rocky und nimmt den erstmal ins Bett mit. Nachdem er sich mit Rocky vergnügt hat, erscheint er allerdings nacheinander mit dem selben Trick bei Janet und Brad ((In der Reihenfolge…)) und legt beide flach. Janet, die ein schlechtes Gewissen hat und gleichzeitig erstaunlich rattig ist, findet den verängstigten Rocky und ähja.

Auf der einen Seite sehen wir, dass Janet irgendwie ihre Selbstsicherheit gewonnen hat und Rocky relativ klar anleitet, während Columbia und Magenta da irgendwas laufen haben. ((Die Micky Maus Mütze ist geil, oder?)) Die beiden haben sichtlich Spaß daran zuzusehen, wie Janet sich selbst entdeckt. Brad wiederum ist vollkommen verstört und Frank’n’Furter totsauer. Immerhin ist Rocky sein Spielzeug, das Janet doch bitte nicht wie einen Menschen zu behandeln hat. Das verschlimmert sich noch, als Dr. Scott auftaucht, ein UFO Forscher, der seinen Neffen Eddie sucht. ((Ups.)) Also zurück zu Eddie und Columbia. Bei einem durchgehend eigenartigen Abendessen erzählt Dr Scott und der Kiminologe ((DIESER MANN HAT KEINEN HALS!)) vom traurigen Leben Eddies und seiner Angst vor Frank’n’Furter:

Während Frank komplett gelangweilt ist, zeigt Columbia ihre Zuneigung. Na gut, „I very nearly loved him.“ zeigt auch, dass es anscheinend schwer ist, einen Verbrecher wie Eddie zu lieben, obwohl er Sympathie verdient hat. Vielleicht sollte noch erwähnt werden, dass Eddies Leiche unter dem Essentisch liegt. Als Frank dies zeigt, flüchtet sich Rocky automatisch zu Janet und Frank tickt komplett aus. Er verwandelt alle Beteiligten in Statuen um dann eine Bühnenshow vor leerem Saal abzuziehen in der eigentlich nur er in der Mitte steht.

Allerdings erfahren wir hier auch die Motivationen aller Charaktere nochmal und sehen: Rocky ist komplett verwirrt, Columbia hat Herzschmerz, Janet findet Sex geil und ist selbstbewusster, während Brad auch an allem, was richtig ist zweifelt. Die Strapse tun jetzt nicht wirklich was das besser zu machen. Oder der Pool ((In dem sich Susan Sarandon fast ne Lungeentzündung geholt hat.)), oder…

Wichtig ist hier vielleicht noch die Zeile, die wohl die größte Aufforderung des Filmes ist: „Don’’t dream it, be it.“ Die Aufforderung zur Emanzipation, die wünschenswert ist, aber auch große soziale Konsequenzen haben kann. 

Sie kommt von Frank, der aber einfach nur selbstzentriert ist und sich hinter wilder hedonistischer Sexualität versteckt, die allerdings im nächsten Lied gebrochen wird, wenn er angestachelt durch Magenta und RiffRaff traurig sagt, dass er heimkehrt.

Das passiert dann nicht. Der ewig vernachlässigte RiffRaff tötet Columbia, Rocky und Frank, lässt die Menschen im Krater des verschwundenen Hauses und den rauchenden Ruinen ihre Identitäten zurück.

Wie geht es danach für Brad und Janet weiter? Der eine ist sich seiner vorher schon fragilen Männlichkeit komplett unsicher, die andere ist selbstbewusst und möchte gerne mehr Sex in einer Welt, die sie als Frau gerne als devote Kindergebährmaschine hätte. Ihre Verklemmungen sind gelöst, doch um welchen Preis in einer Welt, die sich bis heute in dieser Hinsicht kaum geändert hat? 

Da bleibt nur der Endsong zu zitieren:
„And crawling on the planets face
Some insects called the human race
Lost in time and lost in space
And meaning.“ 

Review – Ghostbusters (2016)

Ich war in Ghostbusters und es gibt viel darüber zu reden. Zum einen natürlich den Film an sich, zum anderen über die ganze eher so Metadiskussion und die gesellschaftliche Wirkung, sofern Filmesowas haben können. Doch, zuerst einmal zu Werk, bevor wir zur gesellschaftlichen Analyse kommen.

Ghostbusters ist ein genialer Film neuer Machart. Schnell geschnitten, guter Humor und er ist der erste Film, bei dem 3D wirklich etwas funktioniert hat. Die Effekte fand ich gut, aber die Interaktion war besser. ((Ich kann jetzt schon sagen, dass ich die deutsche Synchro scheiße finde.)) Die vier neuen Geisterjäger sind coole Frauen, die gut miteinander interagieren. Der Film schafft es auch binnen von ungefähr zehn Minuten den Bechdel Test zu absolvieren. Die Charaktere sind eigenständig und haben auch für eine Komödie eine entsprechende Tiefe. Okay, bis auf Kevin. Kevin ist strunzdumm, aber sieht unheimlich gut aus. Seine ganze Erscheinung wird tatsächlich auf einen Stereotyp reduziert, der aber liebevoll präsentiert wird. Die Damen wollen ihn retten, obwohl er eigentlich nur hohl und hübsch ist.

Die Hauptcharaktere sind coole Frauen, die New York retten. Was interessanterweise gegenüber dem Original geändert wird, ist dass die Ghostbusters ein eigenständiges Unternehmen sind. Sie werden sehr schnell vom Staat subventioniert. Der Bürgermeister ist auf ihrer Seite, öffentlich allerdings gegen sie. Das entspricht aber irgendwie den Ideen einer USA im Jahr 2016. War man 1984 als Geisterjäger noch ein Entrepeneur, hat das heute halt gleich Sicherheitscharakter und wird vom Staat bezahlt.

Es gibt am Ende natürlich eine große Kampfszene, die an Bombast kaum zu übertreffen ist, allerdings auch erstaunlich viel Spaß macht, weil die Damen sich nicht unbedingt ernst nehmen.

Der Film macht also Spaß, ist locker wegzusehen und gut gemacht.

Soweit so gut, jetzt kommt der ganze gesellschaftlich-soziale Kram im Metabereich. Wen das schon jetzt nervt, der liest bitte nicht weiter.

Der Film hat ja viel mit Geschlechterrollen und verletzten Kindheitsillusionen zu tun. Deswegen muss das jetzt mal auseinandergelegt werden. Es gab da so drei grundsätzliche Kritikpunkte:

Ihr habt mir meine Kindheit kaputt gemacht!

Bullshit. Ich habe Ghostbusters in den frühen 90ern auf VHS ((Ja, ich bin so alt.)) gesehen. Es ist ein anderer Film. Eine dunkle, fantastische Komödie aus den 80ern, in der vier Underdog-Wissenschaftler die Welt retten. Es gibt weitaus mehr sexuelles Innuendo, als man das heute in einen Film ab 12 packen würde. Die Geisterjäger waren die Helden der Nerds und man kann das verstehen. Aber die neuen Geisterjäger sind eigentlich genau dasselbe. Drei von den Damen haben einen akademischen Abschluss und die Vierte kennt aus unerfindlichen Gründen die Geschichte einzelner Gebäude in New York bis in die Frühzeit. Die Tatsache, dass die neuen Geisterjäger noch mehr Wert darauf legen ernstgenommen zu werden, hat vielleicht etwas mit ihrem Geschlecht zu tun, ist aber auch etwas, das den alten Fan durchaus anspricht.

Die Filme sind ähnliche Geschichten, aber es geht hier eben nicht um meine Kindheit, die ist vorbei. Es geht darum, ob der Stoff in der modernen Welt funktioniert und das tut er ausgesprochen gut. Zerstört es Erinnungen? Nein…

Kevin ist voll die Hohlbirne und ein dummes Stereotyp als Mann!

Ja, schön, dass das auch mal meinem Geschlecht passiert. Ich persönlich fand es teilweise so übertrieben, dass es wirklich nur noch lustig war, und habe deswegen kein Problem mit Kevin. Interessantweise hätte ich den aber auch draufgehen lassen. Er ist echt zu dumm zum leben. Interessanter ist aber, dass sich Männer davon angegriffen fühlen, dass man unser Geschlecht dran ist, ein negatives Stereotyp zu sein. Das ist ja eigentlich nur gerecht. Kevin ist ausnehmend hohl, wird von Erin objektifiziert und generell als das dumme Blondchen hingestellt. Allein die Ironie ist köstlich und er wäre ein Mensch, mit dem ich mich nicht eine Minute beschäftigen würde.

Für die Männerschaft ist das anscheinend total schlimm, wenn ihre Männlichkeit mal untergraben wird. Aber ist das nicht der Zwecke von Humor und Ironie? Und ganz unter uns Jungs: wenn wir so unsicher sind, dass wir uns nicht von Kevin distanzieren können, dann haben wir ein ganz anderes Problem.

Im übrigen sind alle anderen männlichen Charaktere in dem Film etwas, was uns mehr zu denken geben sollte:

  • Der Dekan, der von Anfang an nur Verachtung für Erin übrig hat und sie dann wegen einer Lappalie feuert.
  • Der College Chef, der einfach nur ein infantiles Arschloch ist.
  • Der Big Bad, der eigentlich ein weinerlicher Egozentriker ist, der glaubt, dass er der Welt dringend mit Gewalt zeigen muss, wie sehr sie ihn verletzt. Hier ist besonders spannend, dass er auch ohne Gadget auf das Metalkonzert hätte gehen können und vielleicht Gemeinschaft gefunden hätte, aber dafür war er dann zu arrogant.
Alles klassische Männerrollen, die Gewalt, Macht und Arroganz zeigen. Nur leider sind diese Leute eben nicht die Helden. Wenn sie das wären, würde sich aber keiner daran stören.

Das ist feministischer Dreck!

Nein, das ist schlicht ein Film, der kulturellen Fortschritt zeigt. Und dieser ist doch gar nicht so groß, wie man denkt. Es gibt jede Menge coole Wissenschaftlerinnen da draußen. Das ist Normalität.

Was nicht normal ist, dass es irgendwie niemand erträgt, dass diese Wissenschaftlerinnen in einem Film Overalls tragen und Monster jagen. Dabei ist das eine sehr gute Botschaft. Es wird schon seit Jahrzehnten geweint, dass in den MINT Fächern Mädchen unterrepräsentiert sind und wenn man dann mal coole Rollenvorbilder anbietet, wird geweint, dass die cool sind, Mann keine Titten sieht und die doch ernsthaft keine Kerle brauchen. So fucking what? Das brauchen die Heldinnen in unserer echten sozialen Welt doch auch nicht! Ich helfe meinen Kolleginnen nicht beim Kopieren, ich trage ihnen nicht die Tasche und den besseren Unterricht bereiten die meist auch noch vor. Ich wusste nicht, dass das meine Männlichkeit beschneidet.

Wenn Ghostbusters dafür sorgen kann, dass wir mehr coole junge Frauen haben, die sich für Wissenschaft interessieren und ihr Ding machen, dann ist das ein reiner Gewinn für diese Gesellschaft.

Die Einzigen, die das problematisch finden, sind diejenigen, die eine Welt nicht verstehen in der sie schon seit mindestens fünfzehn Jahren nicht mehr leben. Die Regeln haben sich schon lange geändert und Ghostbusters ist ein Symptom dafür und ein Symptom für die Verzweiflung, die die Reaktion erreicht hat.

Also alles in allem: genauso wie der Vorgänger ein wichtiger und dazu absolut unterhaltender Film.

Alice hinter den Spiegeln – Review

Ich war mit Isa im Kino, um Alice hinter den Spiegeln zu sehen. Während der erste Alice Film als das dritte Buch der Alice Serie gesehen werden kann ((Und ich schlicht und ergreifend nicht mehr dazu sage, bis jemand mich nervt es zu tun.)) ist hinter den Spiegeln eine neue eigenständige Geschichte, die den erwachsenen Umgang mit dem Alice Stoff, der schon im ersten Film angefangen wurde, weiterführt.

Während die Alice Bücher eine kindliche Perspektive auf die Welt einnehmen, sind die Filme allegorische Verarbeitungen mit einem Coming of Age Feeling. Sie behandeln philosophische Themen einer im Viktorianismus erwachsen werdenden Alice. Beschäftigt sich der erste Film mit der Wichtigkeit der Phantasie und eigenen Selbstbestimmung, nimmt der zweite zu diesen Themen auch noch die Frage der Vergänglichkeit hinzu. Alice sieht sich mit einer Welt konfrontiert in der ihr als junger Frau nur eine Nebenposition zugewiesen wird, obwohl sie sich im ersten Film schon etwas Autonomie erarbeitet, schlägt diese nun zurück. Der Volldepp Hamish, dessen Hochzeit sie ausgeschlagen hat, will sich nach ihrer Rückkehr aus China an ihr rächen und ihr, ihren Platz zeigen. Stattdessen fällt Alice durch den Spiegel und muss sich um die Familie des Mad Hatters kümmern. Dazu trifft sie Zeit und versucht mit dessen Chronosphäre die Geschichte zu verändern um am Ende festzustellen, dass Zeit nicht ihr Feind ist und man seine Geschichte nicht verändern kann.

Trotzdem ist diese Geschichte wieder eine der weiblichen Ermächtigung. Alice ist sehr eigenständig und wird von den Bewohnern des Wunderlands dazu angestachelt es noch mehr zu sein. Die viktorianische Wirklichkeit, die in diesem Film eine etwas größere Rolle einnimmt wird in ihrem Sexismus realistisch dargestellt. Trotzdem steht am Ende wieder die Botschaft des ersten Films: Phantasie und Eigenständigkeit sind die wichtigsten Eigenschaften, die wir haben können. Wir sollten sie uns nicht von einer engen Gesellschaft nehmen lassen.

Oder wie es Alice sagt: „I’m able to do seven impossible things before breakfast.“

Verloren – Lost in Translation und Somewhere von Sofia Coppola

Ich war im Jahre 2003-4 in Schottland zum Auslandsstudium. Das war eine sehr schöne, aber auch befremdliche Erfahrung, weil fremde Länder halt fremd sind. Eines schönes Tages fragte mich einer meiner Mitbewohner, dass er im örtlichen Independent Kino einen Film sehen wollte. Ich ging mit und sah so total zufällig Lost in Translation von Sofia Coppola, einen Film, der mich mit meiner damaligen Situation unheimlich verbunden hat und mich bis heute irgendwie berührt.

Die Herausforderung des Fremden und der Humor und die Beziehung, die durch die Konfrontation mit dem Wahnsinn einer unverständlichen Welt, zwischen den Hauptcharakteren entsteht, haben es mir sehr angetan. Den Film zeichnet aus meiner Sicht aus, dass er unheimlich leise komisch sein kann und nicht so sehr erzählt, sondern zeigt, wie sich die Verbindung zwischen den Charakteren entwickelt. Verbindung ist hier auch aus meiner Sicht das passendere Wort als Beziehung. Die Erfahrung des Fremden verbindet Bob Harris ((genialst: Bill Murray)) mit Charlotte ((Scarlett Johansson in der besten Rolle in der ich sie kenne)) und das Verlassen des Fremden trennt sie wieder. Diese Nähe ist es, die wichtig ist und die mir an dem Film wichtig ist. Wir können uns überall miteinander verbinden, wenn wir erkennen was uns vereint. Und diese Verbindung zwischen Menschen hat der Film schon mehrfach für mich hergestellt.

Und Verbindung ist auch das grundlegende Thema von Somewhere, den ich jetzt erst gesehen habe. Der Schauspieler Johnny Marco ((Stephen Dorff)) ist in seinem Superstardasein verloren und findet keine Verbindung mehr zu seiner Umwelt oder zu sich selbst. Die zentrale Frage für ihn wird schon früh im Film von einem Journalisten auf einer komplett derangierten Pressekonferenz gestellt:

„Wer ist Johnny Marco?“

Eine Antwort auf diese Frage bekommt er erst, nachdem er gezwungen wird Zeit mit seiner Tochter Chleo ((Elle Fanning)) zu verbringen, deren Mutter irgendwohin verschwindet und die mit ihrem Vater den Jet Set und die Absurdität des Filmstardaseins erlebt. Darüber entwickelt sich für Marco eine Verbindung, die dadurch, dass Chleo seine Tochter ist, einen besonderen Wert erhält. Seine Unbeholfenheit und Verlorenheit zeigt sich erst, wenn seine Tochter aus Angst um das Verschwinden der Mutter weint und er ihr über den Rotorenlärm eines Helikopters Wünsche für das Sommercamp zuruft, anstatt nochmal zum Auto zu gehen, in dem sie sitzt. Dieses Erlebnis hinterlässt Johnny komplett in der Krise, die mit dem Ende des Films anfängt.

Verbindung zum eigenen Leben ist also hier der Mittelpunkt. Somewhere dreht also die Erfahrung um, in dem Nähe das einzige ist, was überhaupt noch Verbindung bringen kann. Ansonsten befinden sich die Charaktere die ganze Zeit irgendwo, wie der Titel sagt. Es gibt keine soziale und räumliche Verortung mehr außer der Referenz der Menschen zueinander.

Das mit der Integrität…

Ich habe gestern The Intern mit Robert De Niro gesehen. Man mag vieles über den Film denken, und großes Kino ist es sicherlich nicht, aber es gab so eine Sache, die ich tatsächlich mitgenommen habe. Doch vorher eine kurze Synopse, für diejenigen, die den Film nicht kennen und sehen wollen.

Ben Whitaker (Robert De Niro) ist pensioniert, Witwer und langweilt sich. Also bewirbt er sich für das „Senior Internship Program“ eines Internetmodeunternehmens. Er kommt dort mit seiner leicht anachronistisch antiquierten Businesseinstellung an und wird langsam zu einem geschätzten Mitarbeiter der Firma, besonders für die überarbeitete Gründerin Jules Ostin (Anne Hathaway). Es werden Krisen überstanden und am Ende lernen alle was fürs Leben. Es ist das, was man eine schöne Geschichte nennt.

Doch, ich wollte eigentlich woanders hin. Am Anfang des Filmes sagt Whitaker in eine Kamera „I’m a company man. I’m loyal, I’m trustworthy and I’m reliable.“ Was er vergisst zu sagen ist, dass er komplett integer ist und das bedeutet auch, dass er Gewissenskrisen gegenüber seiner Chefin bekommt, wenn er merkt, dass diese von ihrem Mann betrogen wird, aber diese auch dazu anhält sich bei ihrer Sekretärin für gute Arbeit zu bedanken. Whitaker hat klassische Werte, die sich in seiner Kleidung und Einstellung (klassischer Anzug, professionelle Verschwiegenheit, Aufmerksamkeit und niemals vor der Chefin gehen) zeigen, aber diese Werte sind auch etwas, das ihn am Ende von den eher ziellosen Mit-Dreißigern und Endzwanzigern unterscheidet und ihnen auch irgendwie fehlt. Dieses Fehlen von Werten hat sehr viel damit zu tun, dass sich vieles in den Leben junger Menschen an imaginären Zielen, Aufgaben und Herausforderungen orientiert, für die man dann im Zweifel seinen ganzen Wertekanon, den man sich gerade mit Anfang 20 noch revolutionär auf die Fahnen geschrieben hat, aufgibt. Denn auf einmal ist Geldverdienen und Erfolg haben, weitaus wichtiger als den eigenen Anspruch an die Welt selbst gerecht und sich die Frage zu stellen, was die eigenen Handlungen in derselben Welt verursachen. Integrität, wie sie Ben Whitaker zeigt, ist aber etwas, das gerade in der Post-Post-Moderne, in der Strukturlosigkeit und Werteliberalität nur noch von extremen Botschaften eingefangen zu werden scheinen, gar nicht so schlecht erscheint. Denn am Ende allen Erfolges, aller Facebooklikerei, aller Herzen auf Twitter und Instagram, ist Erfolg weniger wichtig als die Frage, wie man ihn erreicht hat, was man dafür aufgegeben hat und ob man sich selbst noch im Spiegel ansehen kann.

Und obwohl es eine Art wertkonservative Avantgarde zu geben scheint, die Werte als Inhalt begreift und nicht als Steigbügel, ist der Rest dieser Gesellschaft noch zu sehr in pseudo-neoliberalem Erfolgsgelaber und nicht-zukunftsfähigem Solipszismus zu gefangen, dass Menschen, die, wie Ben Whitaker, integer sind, als schöne anachronistische Ausnahmen angesehen werden können.

Rezension – Mara und der Feuerbringer

Vor sehr langer Zeit hörte ich etwas über den Film Mara und der Feuerbringer. Der Film ist die erste und vielleicht auch einzige deutsche Young-Adult Fantasyfilm, der mit ansprechender Produktion aufwarten kann. Ich konnte ihn damals nicht im Kino sehen, aber nun habe ich das endlich mal nachgeholt.

UND DER FILM IST GUT! So. Das muss erst einmal gesagt werden, vor allem in Kapitälchen. Wir können auch als Deutsche gute Fantasyfilme machen und der Stoff ist auch schon von vornherein ziemlich gut. Zum einen wird Bezug auf die nordische Mythologie genommen, die nicht wirklich ausgelutscht ist, zum anderen sind alle Charaktere irgendwie glaubhaft. Besonders gut finde ich hier, dass Mara tatsächlich ein integerer Charakter ist, der nicht nur einen moralischen Kompass hat, sondern auch glaubhaft in ihre Heldenrolle findet. Das Ensemble, dass sie umgibt ist, vielleicht mit Ausnahme der Mutter, nicht wirklich überzeichnet. Jan-Josef Liefers ist als schnellsprechender Professor einschlägig, aber gut besetzt. Das ist alles schon einmal ziemlich gut.

Die Geschichte ist tatsächlich komplett solide erzählt, es gibt keinen Moment an dem man sich fragt, warum etwas passiert, jenseits einer gewissen Kürze, die eher dem Medium geschuldet ist. Dafür hat man sich mal wirklich Mühe mit der Produktion gegeben. CGI Lindwürmer und Flammengötter sind überzeugend und gut gerendert. Endlich gibt es mal einen deutschen Fantasyfilm, der nicht nur anständig geschrieben ist, sondern auch gut aussieht. Ich würde mir da auch den zweiten und den dritten Teil ansehen, denn Mara und der Feuerbringer ist eigentlich der erste Teil einer Trilogie.