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Erst wird es kalt, dann wird es heiß und dann brennt es.

Kälte

Es ist schon vor längerem kalt geworden in der deutschen Gesellschaft. Spätestens mit den Gesetzen der Agenda 2010 änderte sich unser Umgang miteinander und das soziale Gefüge. Im Zuge der fortschreitenden Rationalisierung von Arbeit stand die Frage im Raum, wie die Gesellschaft mit der abnehmenden Menge an Arbeit umgehen soll. Die Antwort darauf war nicht, das Paradigma der Arbeit als grundlegende Bedingung von Wohlfahrt aufzuheben, sondern es zu verschärfen. Arbeit wurde, obwohl wir immer stärker automatisieren, der einzige Grund ein würdiges Leben führen zu dürfen. Das Arbeitslosengeld II ist das Stigma der Moderne. Es ist auf der einen Seite das Damokles-Schwert über dem Kopf eines jeden arbeitenden Menschen, auf der anderen Seite das Signum des Versagens in der Moderne. Wer ALG II empfängt ist nicht nur wertlos für die Gesellschaft, er oder sie ist sogar eine Belastung für eine Gesellschaft deren Reichtum sich mehr aus dem Geklicke irgendwelcher Bankfuzzis generiert als aus der händischen Arbeit der eigenen Bevölkerung. Und daran ist die Person, die da Leistungen empfängt auch noch selbst schuld. Schließlich hat sie sich ja nicht genug Mühe gegeben, einen besseren Job zu bekommen und mehr zu leisten.

Diese besseren Jobs gibt es natürlich nur in einer endlichen Zahl und der Rest, der eher miserablen Jobs, die auch bald wegautomatisiert werden, wird in immer kleineren Scheiben auf die Leute aufgeteilt, die man technisch gesehen eh nicht braucht und denen dazu vermittelt wird, dass dies a) die Position ist, die sie verdient haben und dass b) diese Position ihre eigene Schuld ist. Wir haben als Gesellschaft soziale Kälte institutionalisiert und es geschafft, dass jeder dieses Konzept kauft, obwohl es im Interesse der meisten Menschen in diesem Land liegt, dass dem nicht so sei. Das sieht man schon daran, dass die politische Partei, die soziale Wärme als Programm hat, seit mehr als 15 Jahren als weltfremd diffamiert wird.

Hitze

Hitzig wird es erst, nachdem diejenigen, die bisher die soziale Kälte abbekommen haben, nun eine Möglichkeit bekommen, diese weiterzugeben und sich gleichzeitig am Boden der Gesellschaft in einer Konkurrenzsituation sehen. Diese entsteht durch Menschen, die aus Kriegsgebieten in unser Land flüchten und auf einmal Unterstützung bekommen für die aber humanitäre Gründe herangezogen werden und nicht die verquere Leistungslogik, mit der bisher gerechtfertigt wurde, dass man Unterstützung versagt. Dadurch entsteht natürlich Neid. Die Flüchtlinge sind per definitionem an ihrer Situation unschuldig und mussten sich nicht von irgendwelchen Halb-beamten erniedrigen lassen. Aus der Sicht der Unterschicht hatten die nichts auszustehen, wenn man mal von mehreren tausend Kilometern Flucht absieht, die als Konzept so abstrakt sind, dass nur gewaltsame Bilder überhaupt begreiflich machen, was da passiert.

Es wird hitzig, weil nicht verstanden wird, warum Fremde augenscheinlich besser behandelt werden als die eigene Bevölkerung, und warum für diese Fremden nicht dieselbe menschenverachtende Logik gilt, die an die eigene Bevölkerung angelegt wird. Aus diesem Widerspruch entsteht Hass und dieser bricht sich immer mehr Wege. Er kann aber eigentlich nur aufgelöst werden, in dem man das Problem der sozialen Kälte angeht.

Feuer

Ansonsten werden immer mehr Flüchtlingsunterkünfte brennen und der Ruf nach denen immer lauter, die die Welt brennen sehen wollen. Die soziale Kohäsion, die solche Auswüchse verhindert, wurde nachhaltig zerstört und bildet nun den Nährboden für offenen Hass und Rechtfertigung dafür, dass die Welt brennen muss. Deutschland ging die europäische Geschichte als das Land ein, das binnen von knapp 50 Jahren zweimal die Welt in Brand gesteckt hat. Die Chancen, dass wir das auch im 21. Jahrhundert hinbekommen stehen mittlerweile gar nicht so schlecht.

Freiheit – Gleichheit – Sicherheit

Holger Klein hat in den WRINT Podcasts ((Disclaimer: ich mach da mit. Hört es euch an.)) in letzter Zeit öfter gesagt, dass er eine Verschiebung zur Angst in unserem Verhalten wahrnimmt. Das wiederum brachte mich zum denken und diesem Text.

Einer der großen Widerstreite in der politischen Philosophie ist, welches grundlegende Prinzip für politisches Handeln besser für das Gemeinwohl ist. Die liberalen Denker betonen immer das Prinzip der Freiheit, während sozialistische Denker das Prinzip der Gleichheit betonen. Dazwischen liegen sehr viele Facetten und Möglichkeiten, die erstmal kurz auseinandergelegt werden müssen.

Freiheit

Hach, die Freiheit. Jeder trägt sie im Mund, ein Lieblingswort von Politikern, laut denen sie das Wichtigste ist, was geschützt werden muss. Das klingt auch immer wie eine komplizierte Aufgabe, dabei ist nichts zu tun eigentlich nicht schwer. Denn Menschen sind an sich frei. Wir haben vollständige Handlungs- und Entscheidungsfreiheit bis zur Selbsttötung. ((Ja auch ihr. Falls euch jetzt auffällt, dass ihr sie nicht benutzt: Glückwunsch! Ihr seid ein funktionierendes Mitglied der Gesellschaft.)) Leider kommt uns dann das Soziale in die Quere, denn damit dies funktionieren kann muss die Freiheit der einzelnen Person eingeschränkt werden. Sonst hauen wir uns die ganze Zeit auf die Fresse und so und das ist ja unschön. Also absolute Freiheit ist jetzt irgendwie unerwünscht. So, gemäßigte und geregelte Freiheit ist besser. Das wäre dann auch die Aufgabe von Politik diese herzustellen. Jedenfalls, nachdem was da immer erzählt wird.

Gleichheit

Der Freiheit gegenüber steht die Gleichheit. Freie Menschen sind ungleich, weil sie alle in ihren Anlagen verschieden sind. Will man sie nun gleich machen schränkt man ihre Freiheit ein. Das ist, wie oben schon beschrieben, teilweise nötig, weil in sozialen Gruppen Regeln existieren müssen, damit diese funktionieren und diese behandeln dann (hoffentlich) alle gleich. Möchte man jedoch größtmögliche Gleichheit erreichen, muss die Freiheit der einzelnen Person auch größtmöglich eingeschränkt werden, denn die kleinste Entscheidungsfreiheit macht uns ja ungleich. Das führt dann irgendwie zum Polizeistaat und klappt am Ende eben doch nicht. Gleichheit ist also irgendwie das Gegenteil von Freiheit.

Aber halt! Die Neoliberalen haben da eine Lösung. Es kann Gleichheit und Freiheit geben. Es ist nur eine andere Art von Gleichheit: Chancengleichheit. Hier sind nicht die Menschen gleich, sie haben nur die gleichen Chancen. Es klingt also wie Gleichheit, ist aber eigentlich Freiheit und dazu nicht einmal die gemäßigte Freiheit, die oben erwähnt wird, sondern absolute Freiheit. Weil, es müssen ja nur die Chancen für jeden gleich sein und das lässt sich nominell einfach herstellen, wenn man solche Details wie Erbschaft und Kontinuität von Eigentum ignoriert. Chancengleichheit ist also weder das, was die Freiheitsfans, noch was die Gleichheitsfans möchten. Deswegen ist sie die Art von Gleichheit, die am meisten verkauft wird.

Sicherheit

Spätestens seit dem 11.September 2001 hat sich ein neues Paradigma in diese Diskussion geschlichen. Die Sicherheit ist heutzutage die normative Grundlage von Politik. Dabei ist komplett unklar, was Sicherheit bedeutet. Es scheint sich hierbei auch nicht um einen definierten gesellschaftlichen Wert zu handeln, sondern um ein diffuses Gefühl der Regierten. Sicherheit ist dabei komplett agnostisch gegenüber der Frage von Gleichheit und Freiheit, wobei Freiheit aus einer Sicherheitsperspektive kritisch gesehen werden muss. Immerhin kann Freiheit das Sicherheitsgefühl beschädigen. Die Leute da draußen könnten eigenständig Sachen tun, die technisch gesehen immer gefährlich sind. Gleichzeitig ist aber auch zu wenig Freiheit ein Problem für die Sicherheit, weil dann hat man Revolutionen und sowas und das ist auch unsicher. Letzteres ist aber kein Problem, wenn Sicherheit eine Ideologie ist, die sich in der Gesellschaft durchsetzt, weil dann geben die Menschen ihre Freiheiten freiwillig auf! Und sie bekommen dafür nicht einmal mehr Gleichheit. Sie bleiben schön an der Stelle der sozialen Ungleichheit, wo sie gerade sitzen und sind glücklich darüber, dass sie sicher sind. ((Dann noch etwas Facebook und schon ist alles okay.))

Damit aber Sicherheit überhaupt als gesellschaftlicher Wert und Ideologie funktioniert, braucht es Gefahren und deren Vermittlung. Das bedeutet, dass es die Aufgabe von Sicherheitspolitik ist Unsicherheit dar- und herzustellen und generell allem und jeden einzureden, dass die Welt furchtbar unsicher ist. Nun, ehrlich: das ist sie. Aber dagegen können wir kaum etwas tun, schon gar nicht politisch. Politische Lösungen sind meist soundso Verbote, die nur darin wirken, dass man sich nicht um gesellschaftliche Probleme kümmern muss und die Verantwortung bei den Menschen liegt, die diese Probleme haben. Das Verbieten von allem, was unsicher ist, ist unmöglich. Komplette Kontrolle ist unmöglich, nicht einmal teilweise Kontrolle ist realistisch. Trotzdem kaufen unheimlich viele Menschen diese Sicherheitsideologie. Man möchte nämlich nicht daran erinnert werden, dass ein Schritt auf die Strasse der eigene Tod ist, dass einem das Haus überm Kopf einstürzen kann und so weiter. Sicherheit ist das Pfeifen im Walde und gesellt sich damit zur Biedermeierromantik sinnloser Agitation ohne Wirkung, die unsere aktuelle Gesellschaft auszuzeichnen scheint. Diese ist besonders deutlich wenn die angebliche Sicherheit des Weltbildes oder sogar der Welt bedroht ist. Seien es Fremde, der kleinbürgerliche Wohlstand oder das Paradigma des gesunden täglichen Rindersteaks für 5€, sobald an den sicheren Wahrnehmungen der Welt gewackelt wird, kommt die Reaktion wie ein Vorschlaghammer auf die angeblichen Störenfriede hernieder und die Politik ist Gewehr bei Fuß bereit zu helfen, denn Sicherheit ist wichtiger als Freiheit oder Gleichheit, weil steuerbar.

Und nu?

Am Ende dieser Betrachtung kann eigentlich nur eines stehen: wir brauchen eine Politik, die die Freiheit der/s Einzelnen regelt. Während Gleichheit zu Staatsterrorismus führt, führt der aktuelle Trend zur Sicherheit nicht nur zu diesem, sondern auch noch dazu, dass die Probleme, die eine gleichheitsorientierte Politik totregeln wollen würde, überhaupt nicht mehr verhandelt werden, solange sie das Sicherheitsempfinden der Bürger nicht beeinträchtigen und danach im Sinne der einfachen Lösung meist nur Verboten werden. Politik unter der Ideologie von Sicherheit muss sich um nichts mehr kümmern, wenn sie alles verbietet und hat gleichzeitig die komplette Kontrolle über Menschen, die diese freiwillig aufgegeben haben. Es zeigen sich jetzt schon die ersten Demagogen, die dies ausnutzen wollen und einer von diesen wird mit Sicherheit erfolgreich sein und die Welt erneut in Brand stecken.

Agitierte Hilflosigkeit

Es gibt ein Phänomen, das mir in Unterhaltungen mit jungen Menschen immer wieder untergekommen ist. Sie sind meist politisch stark engagiert und sehen Missstände in der Welt. Allerdings wissen sie weder um die Ursachen noch die Gegenmassnahmen zu diesen Problemen. Das wäre die Aufgabe politischer Bildung, aber die findet ja nur noch rudimentär statt und kann im Zweifel nicht jedes Problem lösen. ((Dafür bräuchten wir Politiklehrer mehr Zeit, mehr Mittel und eine frühere Einführung des Politikunterrichts.))

Doch zurück zu den jungen Menschen. Die stehen nur vor einer Welt, die sie empört und die so komplex ist, dass es keine einfachen Antworten geben kann. Sie wurden allerdings im Bildungssystem darauf trainiert, die einfache Antwort zu suchen und sind des öfteren damit überfordert überhaupt über eine Lösung, vor allem außerhalb ihres beschränkten Erfahrungshorizonts nachzudenken. Dabei ist da eigentlich wenig Vorwurf zu machen. Immerhin leben wir im modernen Biedermeier, wo jeder seinen Kopf in den Sand steckt und agitierter, aber durchgehend zahnloser, Privatismus auf Facebook gelebt wird. Slacktivism ist ja auch nichts weiter, als eine neue Variante als Kleinbürger Geld in den Klingelbeutel zu werfen, ohne sich wirklich politisch zu beteiligen. Das passt auch gut zur verzweifelten  Romantik, die unsere Zeit auszuzeichnen scheint. Es wird die ganze Zeit die Emotion, der Andere, die Toleranz ((Ein beschissener Begriff. Lat. tolerare bedeutet ertragen. Toleranz ist also die Fähigkeit etwas zu ertragen, was ich nicht mag. Da ist also der gewünschte Standard des menschlichen Miteinanders: ich finde etwas scheiße, aber ich bin ein guter Mensch, weil ich ertrage, dass ich es scheiße finde. Respekt wäre hier definitiv besser: ich finde es scheiße, aber es darf existieren und ich muss respektieren, dass es existieren darf. Bevorzugt sollte ich dafür kämpfen, dass es das tut.)) betont, um einen Gegensatz zu einer erlebten Welt der technokratischen Nivellierung konservativer Werte zu schaffen. Man geht auf Mittelaltermärkte und zieht sich an wie Bauernbübchen aus dem nicht minder romantischen 19. Jahrhundert, verklärte Hippies, Sennerinnen, verarmte Punks oder Ritter aus schlechten Hollywoodhistoriendramen, ohne es wirklich ernst zu meinen. Da wird dann fein bigott die vegane Fahne hochgehalten, während man Coke life trinkt und McDonalds scheiße gefunden, während man bei Subway den Ökosandwich mampft. Es wird jede dissente Meinung, die die Filterblase penetriert, geshitstormt und gehashtagt, damit man sich bloß nicht damit auseinandersetzen muss, dass man selbst schon wieder weniger Gehaltserhöhung als den Inflationsausgleich bekommen hat.

Aber solange die Meute der ebenso hilflos Empörten glaubt, dass Tweets die Welt ändern, freuen sich die Machteliten, dass es keine ernsthafte gesellschaftliche Opposition gibt, weil sich diese ja nur virtuell abspielt. ((Keine Sorge, ich bin nicht besser. Ich erzähle nur über Politik und schreibe ins Netz.)) Bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen führt dieser ganze Spaß nun dazu, dass sie die ganze Zeit wütende Bilder von Tierschützern, Naturschützern, Rechtsradikalen, Linksradikalen, Neoliberalen oder sonstwelchen ideologischen Gruppen und dadurch gut agitiert werden, allerdings in ihrem politischen Verhalten komplett hilflos sind, weil man es geschafft hat ihnen die Werkzeuge und Erkenntnisse, die es braucht um sich kompetent zu verhalten aus der Hand zu nehmen. ((Die sind ja auch zu gefährlich.)) Und so zeigt sich bei jungen Menschen immer öfter agitierte Hilflosigkeit. Sie möchten die Welt ändern, aber sie glauben in postmoderner Abgeklärtheit nicht daran und haben auch nicht mehr die Mittel ernsthaft wirksam politisch mitzuwirken, da alle Mittel, die sie für wichtig halten, nicht wichtig für die Entscheidungsträger sind. Im Internet schreien, interessiert die Gesellschaft immer noch amüsiert, aber relevant ist es noch nicht. Damit bleibt vielen jungen Menschen nur agitierte Hilflosigkeit von der zu sehen ist, wie sie sich kanalisiert.

Gerufene Geister – diesmal Frauke Petry

Die AfD hat Frauke Petry zur neuen Vorsitzenden der Partei gewählt. Damit setzen sich die nationalistischen Strömungen in der AfD durch. Der Parteigründer und nun ehemalige Vorsitzende Lucke steht vor den Trümmern seiner Parteikarriere und wird nun von Leuten abgelöst, die man veritabel als rechts-außen bezeichnen kann.

Und das sind die Geister, die Lucke selbst gerufen hat. Seine angebliche neoliberale Agenda und der Protest gegen den Euro fußten doch genau auf zwei Prinzipien: Verachtung des jeweils anderen und unterlegenen und einem bürgerlich-verbrämten Nationalismus. Lucke war doch der, der immer jede Meinung gelten lassen wollte, weil er ja auch dringend Sachen sagen wollte, die mal gesagt werden mussten. Nun hat er die Menschen, die diese sagen. Die NPD tut das auch. Nur die AfD Petrys ist die AfD, die nicht wie die NPD hetzt, sondern die ihren Nationalismus hinter ihrer kleinbürgerlichen Fassade versteckt. Hier wird versucht so zu tun als würde man bei der WM Fähnchen schwenken, dabei ist man schon so weit, dass der Hass auf das ausreichend Fremde ((Und ausreichend fremd sind in Sachsen manchmal schon Menschen, die akzentfrei sprechen können.)) ein wichtiger Teil der Selbstlüge ist mit der man sich als bürgerliche Mittelschicht wähnt, obwohl man von der Agenda der Luckes und Henkels dieser Welt schon als entsorgungswürdiger Schmarotzerteil der Gesellschaft gebrandmarkt wurde und deswegen nun besser auf den Ausländer schimpft, denn der steht unter einem und kann damit noch getreten werden.

Herr Lucke hat sich seine Ablösung nicht nur ins Haus geholt, er und andere Vertreter seiner marktliberalen Denkrichtung haben auch deren Unterstützer produziert. Ich frage mich, ob er Angst hatte, als der Mob ihn dafür ausbuhte, dass er PEGIDA nicht gut findet. Ob er erkannt hat, dass hier die Angst und die Wut derjenigen brodelt, die sein Denken über Wirtschaft in der Praxis komplett marginalisiert und vor Existenzängste gestellt hat. Die AfD Luckes hat die Unterschicht immer unterschätzt und verachtet. Jetzt hat die Unterschicht sie unter einer demagogischen Führerin übernommen, die sie genauso verachtet, aber besser darin ist, den richtigen Strohmann hinzuhalten.

Französische Verhältnisse

Am Ende des Jahres wird wohl eine der boulevardeskeren Medien titeln, dass 2015 das Super-Streikjahr war. ((Hallo, liebe Bildredaktion. Ich war zuerst da und lizensiere den Begriff gerne für einen niedrigen vierstelligen Betrag weiter.)) Das mag zahlenmäßig nicht stimmen, aber jetzt im Sommer des Jahres sieht es genau so aus. In Deutschland wird gestreikt, wie schon lange nicht mehr. Und es wird vor allem gestreikt, weil die Politik ihrer Aufgabe des Interessenausgleichs nicht mehr nachkommt. Ganz im Gegenteil: die Arbeitsministerin der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Andrea Nahles drückt erst einmal ein Gesetz durch, das diesen ungezügelten Arbeitskampf eindämmen soll. Wo kämen wir auch hin, wenn Arbeitnehmervertreter auf einmal für Arbeitnehmerrechte streiten? Am Ende haben wir hier in Deutschland noch französische Verhältnisse, wo die Götze des Wirtschaftswachstums die ganze Zeit von renitenten Sozialisten angetüncht wird, und Arbeitnehmersolidarität so weit gehen kann, dass sich Arbeitskämpfe zum Generalstreik ausweiten.

Dabei wäre dieser längst überfällig. Die neoliberale Agenda 2010 hat dazu geführt, dass der Wohlstand des Einzelnen, insbesondere in den unteren sozialen Statusgruppen, rapide abgenommen hat. Da hier auch die Menschen mit dem niedrigen Bildungsniveau sitzen, lassen sich Phänomene wie PEGIDA oder aber der Zustrom zur AfD leicht erklären. Dort sammelt sich das verarmte Kleinbürgertum in seiner Abneigung gegenüber der Komplexität der Welt und verlangt den isolationalistischen Biedermeier in allen Belangen ohne zu verstehen, dass die Ideologien, die sie da tragen sie selbst zutiefst verachten. Denn aus der Sicht der AfD Granden sind diese Menschen entweder Minderleister oder Steigbügelhalter für die nationalistische Revolution, aber sicher nicht die Bevölkerungsgruppe, deren ernsthafte Sorgen im Mittelpunkt politischen Handelns stehen sollte.

Die Parteien und politischen Richtungen, in deren Ideologie das tatsächlich der Fall ist, wären auf der linken Seite des politischen Spektrums zu finden. Dazu gehören die Gewerkschaften und Parteien, wie die Linke, SPD oder auch die Grünen. Wobei, die SPD schiebt ja gerade Gesetze an, die Kleingewerkschaften das Leben schwer machen sollen und ist generell mehr daran interessiert mit der CDU mitzuregieren als ihr ideologisches Profil zu schärfen. Hoffnung gab es da ja mal zwischendurch. Die Grünen sind ja eh eine Partei der besserverdienenden Akademiker und die Linke gilt immer noch nicht als satisfaktionsfähig oder wurde so lange als Bösewicht aufgebaut, dass die Zielgruppe das fröhlich geschluckt hat. Also bleiben nur noch die Gewerkschaften und die gelten ja langsam auch als Terroristen, immerhin machen sie so infame Dinge wie das Aufhalten von Werbebriefen und das Bestreiken der Bahnstrecken, bei denen man sich sonst doch auch über die Verspätung aufregt. Dass es hier darum geht für Leute, in ähnlichen Berufslagen wie sie selbst Vorteile zu erstreiken geht in einer mittlerweile schon gut geübten Missgunst unter. Es kann ja nicht sein, dass die anderen Recht damit haben wenn sie für anständige Bezahlung und grundrechtskonforme Tarife den eigenen Komfort einschränken! Und daran scheitert dann der Wunsch an französischen Verhältnissen, denn bevor in diesem Land Menschen solidarisch für die Verbesserung der eigenen Lebensverhältnisse kämpfen, muss erst einmal geklärt werden, dass die anderen weniger davon haben als man selbst.

Die Merkel-Technik (oder: wie ich das Bild der eigenen Partei stärke.)

Ich habe ja letztens darüber geredet, dass Heiko Maas wahrscheinlich weniger Prügel für die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung verdient, als er bekommt. Im damaligen Text habe ich schon etwas angedeutet, dass ich hier noch etwas ausführen will.

Angela Merkel hat mehrere Verdienste für die deutsche Politiklandschaft vorzuweisen. Der herausragendste von diesen ist die Tatsache, dass sie es geschafft hat, Farblosigkeit zu einer Waffe zu entwickeln und damit die, von den Medien herbeigeredete, Politikverdrossenheit dafür zu nutzen dauerhaft im Amt zu bleiben und ihre eigene Agenda voranzutreiben. Da wir uns in einer Welt befinden, in der Politiker versuchen ihre Wählerschaft zu umsorgen und von der Bürde des Sich-Sorgenmachens zu befreien, ist jede ernsthafte politische Entscheidung zu vermeiden. Denn diese wird eine Bevölkerungsgruppe beeinträchtigen und diese könnte dann unzufrieden sein und wegbrechen. Deswegen sind echte Entscheidungen zu vermeiden und Symbolpolitik empfohlen, und wenn dies nicht geht, braucht es Floskeln wie das unwahre alternativlos oder ähnliche Nebelkerzen.

Doch wie nutzt Angela Merkel diesen, von ihr wohl mitgesetzten, Trend um andere Parteien zu beschädigen? Nunja, in dem sie immer wieder einen Prozess anwendet, bei dem die Öffentlichkeit und auch gerade die Internetöffentlichkeit nur zu gerne mitspielt. Wir können uns das bei der aktuellen Debatte zur Vorratsdatenspeicherung ansehen.

Phase 1 – Agendasetting

Die CDU positioniert sich mit de Maizíere schön weit rechts außen. Als Innenminister sagt er an, dass er die größtmögliche Überwachung für unser Supergrundrecht Sicherheit haben will. Er fordert damit auch weitaus mehr, als er je weiß, dass er bekommen wird, aber er weiß auch, dass er da runterverhandelt wird, also wie beim TrödelTrupp: hoch ansetzen.

Der junge Justizminister der SPD wird beraten gegen die Vorratsdatenspeicherung zu sein, weil das die sinnvollste Handlungsweise ist. Er vertwittert das und macht es zu seiner Agenda, weil er damit beliebter ist als der Innenminister und es schlicht sinnvoll ist.

Vizekanzler und SPD Vorsitzender Sigmar Gabriel ist schon auf VDS Werbetour, weil er weiß, was kommt.

Merkel sagt nichts.

Phase 2 – Aushandlung

Der Innenminister trifft sich mit dem Justizminister und setzt ihm das Messer auf die Brust. Maas verhandelt aus einer absolut indiskutablen Position de Maizíeres eine halbwegs verhältnismässige heraus, kann aber natürlich aufgrund der beschriebenen Mehrheiten im Kabinett nur verlieren. Davon merkt die Bevölkerung nichts. Maas ist noch der Gute, de Maizíere der Böse. Merkel erscheint nicht, hat aber die Richtlinienkompetenz, also das Sagen.

Phase 3 – Verkündung

Jetzt kommt der eigentlich tolle Schachzug. Für die Bekanntmachung der neuen Gesetzesinitiative stellt die Regierung Heiko Maas hin. Ist ja auch klar: für ihn ist das, was er da präsentiert aus seiner Innensicht ein Erfolg. Er weiß ja auch, was er haben wollte und was das Innenministerium gerne gehabt hätte. Für Merkel und de Maizíere ist es aber Kalkül, dass er da steht. Denn diese wissen, dass er aufn Sack bekommt. Er ist hinter seinen Versprechen zurückgeblieben und muss dies nun auch noch als Erfolg verkaufen. Dafür wird er dann fröhlich von den Medien und der Twittergemeinde zerlegt und beschimpft. Die SPD ist wieder die Verräterpartei. Alle fühlen sich bestätigt und wer hat den Profit? Der Innenminister, denn er hat mehr als er vorher hatte und Angela Merkel, denn die SPD ist auch wieder beschädigt worden und zwar bei den Leuten, die ihrer stehenden Wahlmehrheit aus Kleinbürgern und Rentnern gefährlich werden konnte. Merkel ist dabei nicht einmal aufgetaucht, dabei trägt sie am Ende die Verantwortung und hat die Fäden in der Hand.

Und so macht man das, wenn man den politischen Gegner während der eigenen Regierung demontieren möchte. Die Bevölkerung spielt das Spiel gerne mit, weil Aufmerksamkeit in den Medien Trumpf ist, und nicht Analyse. Am Ende gewinnt da nur Angela Merkel als diejenige, die mit Kalkül im Hintergrund die Fäden zieht.

Ein Wort hier noch zu Sigmar Gabriel. Der wollte sich mit seinen Argumenten für die Vorratsdatenspeicherung schon mal in Sicherheit bringen, denn der hat schon gesehen, wohin dieser Zug fährt. Hat ihm leider auch nicht geholfen.

In Verteidigung von Heiko Maas

Die Bundesregierung möchte die Vorratsdatenspeicherung wieder einführen. Sie haben das angekündigt und es ist auch überhaupt nicht anders zu erwarten, denn die Fraktion, die im zentralen Parlament in diesem Land die einfache Mehrheit hat ist die CDU/CSU. Also Menschen, die schon seit Jahren offen sagen, dass sie für die Sicherheit der Bürger jegliche Art von bürgerlichen Freiheiten opfern möchten. Diese Fraktion wird von den meisten Wahlberechtigten, die zur Wahl gehen, gewählt.

Das Spannende ist, wer jetzt schon seit drei Tagen von der „Netzgemeinde“ Prügel bezieht: Bundesjustizminister Heiko Maas. Und ja, es ist natürlich klar, dass er das Ziel der Empörung ist, hat er doch bisher in seinen Veröffentlichungen immer wieder betont, dass es mit ihm keine Vorratsdatenspeicherung geben wird. ((Nun gut, die gibt es auch nicht. Sie wird Höchstspeicherfrist genannt.)) Herr Maas war damit in einer Linie mit der Rechtsprechung des EUGH und des Bundesverfassungsgerichts. Beide Verfassungsgerichte haben die jeweiligen Richtlinien und Gesetze für nicht verhältnismäßig und nicht erklärt. Herr Maas ist nicht mehr dieser Meinung. Er vertritt jetzt eine Einigung mit dem Innenministerium. Damit ist er ein Verräter und bekommt auf den Sack. Leider vergessen alle, die da Herrn Maas jetzt auf Twitter auseinanderlegen, wie die Verfassungrealität in diesem Land aussieht und was soziale Dynamik von politischen Gremien ist. Fangen wir beim ersteren an:

Exkurs: Wie funktioniert das Bundeskabinett?

Man schaue bitte mal auf dieses Schaubild.

So, die Bundesregierung hängt am Bundeskanzler, derzeit an der Bundeskanzlerin. Diese hat die Richtlinienkompetenz. Sie legt die Richtlinien der Politik fest. Das Bundeskabinett wird von ihr bestellt und vom Bundespräsidenten ernannt. Die Minister sind ihr ausgeliefert. Das wird gerne mal unter Angela Merkel vergessen. Sie hat die Fäden in der Hand und wir wären sehr sehr kurzsichtig, nicht davon auszugehen, dass Angela Merkel auch die Vorratsdatenspeicherung befürwortet hat. Ohne ihre Zustimmung geht das wohl kaum.

Dazu gelten drei wichtige Prinzipien im Kabinett:

Das Ressortprinzip sagt, dass jeder Minister eigenständig für seinen Politikbereich verantwortlich ist. Hierzu sollte man nicht vergessen, dass die Richtlinienkompetenz immer noch gilt. Also ist er zwar verantwortlich, aber seine politische Richtung kann durchaus vorgegeben sein. Es ist also nicht so, dass Herr Maas einfach so seine Meinung geändert hat.

Dazu kommt das Kollegialprinzip, das sagt, dass die Ministerien beim Politikmachen zusammenarbeiten müssen. Das ist hier passiert zwischen dem Innenministerium und dem Justizministerium. Auch diese Zusammenarbeit unterliegt der Richtlinienkompetenz also ist klar, dass Maas maximal bremsen konnte, aber mehr auch nicht. Das ist ja seine Aufgabe. Die Aufgabe des Innenministers ist das Bewachen der Verfassung. Das wird aber seit Schily traditionell mit der Reduzierung der Bürgerrechte gemacht, weil weniger Bürgerrechte einfacher zu schützen sind.

Das letzte Prinzip ist aus meiner Sicht für die Diskussion das Wichtigste: Das Kabinett verabschiedet Gesetze nach dem Mehrheitsprinzip. Das bedeutet, dass alle Minister und die Kanzlerin über einen Gesetzesentwurf oder eine Verordnung abstimmen. Diese Abstimmung ist nicht öffentlich, weil das ja nun wirklich pikant wäre.

Was bedeutet das?

Schauen wir uns mal kurz die Liste der Minister an, kommen wir auf 7 Mitglieder aus der CDU, 3 Mitglieder aus der CSU und 6 Mitglieder aus der SPD. Das bedeutet, dass die SPD selbst im besten Fall schlicht von der CDU/CSU überstimmt wird. Im aktuellen Fall stimmt Sigmar Gabriel, der in der letzten Zeit ein großer Proponent der Vorratsdatenspeicherung war, wahrscheinlich auch noch dafür. Dazu sicher noch etliche andere Minister, die das nicht betrifft. Im schlimmsten Fall hat Herr Maas als einzige Person die Hand gegen diesen Vorschlag gehoben und wird jetzt dafür von der Masse geprügelt.

Dazu ist Maas ein junger Politiker, der die Stiefel von Gabriel und den anderen abgehangenen SPD Granden lecken muss, damit sie ihn nach seiner Zeit als Minister auch weiterhin für Jobs vorsehen. Er hat also kaum die Wahl als gegenüber den Menschen, die tatsächlich über seinen Broterwerb bestimmen können, Zugeständnisse zu machen.

Dazu vergisst die ganze Netzgemeinde in ihrer Empörung über Maas, dass Innenminister Thomas de Maizière auf der anderen Seite der Verhandlungen gesessen hat. Der wollte garantiert mehr als Maas ihm durchgelassen hat. Er und Angela Merkel bekommen keine Prügel. Warum? Weil sie Heiko Maas vor ein Mikrofon gestellt haben, damit die Netzgemeinde diesen lyncht. „Die SPD hat uns wieder verraten, yadda yadda yadda.“ Genau, ohne die SPD hätten wir eine volle sechsmonatige Vorratsdatenspeicherung schon lange. Verglichen damit ist das, was Maas da macht ein Erfolg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat nur so lange gegen die Vorratsdatenspeicherung durchgehalten, weil sie selbst eine alte respektierte Politikerin war und schlicht nicht einmal angefangen in die Verhandlung mit dem Innenministerium zu gehen. Das kann Maas alles nicht und das mag einer der Gründe sein, warum Gabriel und Merkel ihn auf diesen Stuhl gesetzt haben. Er muss ihnen dankbar sein. Auch wieder: hierfür ist das noch halbwegs glimpflich abgelaufen.

Im Übrigen kann man Gabriels Sprechen für VDS in den letzten Wochen als strategisches Positionieren sehen, mit dem er sich gegen den Peacetrain, auf dem Maas jetzt ist, abgrenzt. Damit im Zweifel nur dieser gehen muss und die SPD an sich weniger mit dem Thema zu tun hat.

Ihr tretet den Falschen.

Im Abschluss muss ich sagen, dass Heiko Maas wahrscheinlich gar nicht so sehr das Opfer des Volkszorns sein sollte. Die Leute, die da die größeren Entscheidungen getroffen haben, haben ihn vorgeschickt und die Netzgemeinde hat ihnen den Gefallen getan, die vielleicht(!) einzige Person zu lynchen, die auf der Seite ihrer Interessen war. Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Thomas de Maizière haben viel mehr mit diesem Gesetz und dessen Verabschiedung durch das Kabinett zu tun, als das Bauernopfer Maas, das jetzt auf Twitter dumm angemacht wird.

Es wird zu schnell vergessen, dass diese Leute die wahren Bösen in dem Spiel sind und das schon immer offen gesagt haben. Diese Menschen haben es wieder mit Perfektion geschafft durch Nichtbewegen nicht erschossen zu werden.

Die CDU/CSU hat gewonnen: Sie hat ihre Vorratsdatenspeicherung, sie hat die SPD beschädigt und die Netzgemeinde hat mit allen ihren Memes, Tweets und Gehässigkeiten brav mitgespielt.