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Zu viel Nerd ist auch nicht gut.

Ich habe mich in den letzten Tagen viel unterhalten können, und dabei fiel mir auf, dass das Wort Nerd mittlerweile sehr inflationär für einen Menschen benutzt wird, irgendeine Art von spezialisiertem Wissen, gerade im technisch-naturwissenschaftlichen, aber auch im sozial- und geisteswissenschaftlichen Bereich besitzt. Dabei wird versucht die eigentlich negative Konnotation des Begriffes als etwas positives umzudeuten. Das kann langfristig gelingen, aber derzeit scheint es mir etwas kontraproduktiv das Nerdtum an sich hochleben zu lassen. Ja, ohne die Nerds würde unsere moderne Welt nicht funktionieren, aber eigentlich sind das doch gar nicht die Nerds. Es ist das, was man Wissenschaft nennt und diese wird nun mit einem neuen erst einmal abwertenden Begriff versehen. Alles ist auf einmal Nerd oder nerdig. Insbesondere die Sachen, die nur einen halben Zentimeter außerhalb des gesellschaftlichen Gemeinkonsenses liegen. Dabei macht man sich besonders, wenn man sich mit diesen Sachen beschäftigt, und das ist ja gerade in. Doch die meisten Menschen, die sich mit genau diesen Themen, die außerhalb der gesellschaftlichen Durchschnittswahrnehmung liegen, sind eben keine Nerds, also keine technikaffinen-fortschrittsbegeisterten Menschen, es sind Wissenschaftler. Menschen, die es sich zur (Lebens-)Aufgabe gemacht haben ein bestimmten Bereich unseres allgemeinen Unwissens zu vernichten. Das sind keine Sonderlinge, wie der Nerdbegriff so hergibt, es sind meist Menschen, die daran arbeiten diese Weltzivilisation ((ja, die gibt’s nicht, ich werde aber doch träumen dürfen…)) zu einer besseren Version zu machen. Sie beschäftigen sich mit Grundfragen des Weltaufbaus ((Und zwar egal ob es die physische, psychische oder geistige Welt ist.)) und spielen nicht nur damit rum. Es ist ihre Aufgabe und wir bezahlen ihnen (ZU WENIG!) Geld dafür, dass sie sich mit Fragen beschäftigen, die wir mit unserer Schulbildung nicht einmal im geringsten überreißen.

Das soll nun nicht bedeuten, dass ich die Nerdfraktion hier kleinreden will. ((Immerhin gehöre ich auch teilweise dazu…)) Es geht mir eher um die Unterscheidung zwischen den Leuten, die sich mit Technik und Wissenschaft nicht nur beschäftigen, weil es ihnen Spaß macht ((Das sei gegeben, die meisten Wissenschaftler lieben ihre Fachgebiete natürlich.)), sondern auch weil sie dafür Geld bekommen und die Gesellschaft diese Dienste braucht. Das unterscheidet sich vom Nerd in einem bestimmten Detail. Die Nerdkultur ist auf eine do-it-yourself, research-it-yourself Basis angelegt, die zwar Ergebnisse hervorbringen kann, aber im größeren Teil auf Erkenntnissen der Wissenschaft beruht. Technik neu anzuwenden ist eben nicht dasselbe wie die Möglichkeit zu haben Technik neu zu entwickeln und die Grundlagen dieser Welt zu finden.

Deswegen ist es problematisch, wenn nahezu alles nerdig ist, dass eigentlich Wissenschaft ist. Ich habe kein Problem meine Begeisterung für U-Boote als nerdig zu bezeichnen. ((Achja, hier in Bälde Vortrag im Backspace.)) Wenn es aber um Zitate und Sprache geht, nunja, das mag für viele Leute sehr abgefahren aussehen, aber es ist mein Job das zu wissen. Es macht mir natürlich einen riesigen Spaß, aber es ist eben mehr als nur ein Sprachhobby. Der Unterschied zwischen den U-Booten und der englischen Sprache ist hier, dass ich mich in einem Bereich professionalisiert habe, im anderen nicht. Dementsprechend, bin ich vielleicht auch Sprach- und Literaturnerd, aber eigentlich mehr, denn es ist ein Gebiet in dem ich auch professionalisiert arbeiten und sogar forschen kann. Das trifft für U-Boote jenseits komischer kulturgeschichtlicher Betrachtungen nicht vor.

Deswegen ist nicht alles nerdy und jeder Mensch, der spezialisiertes Wissen hat ein Nerd. ((Spannend hier: schonmal von Buchhaltungsnerds gehört? Die müßte es ja auch geben…)) Unsere Wissenschaft und deren Personal verdient mehr als mit einem Begriff bezeichnet zu werden, der früher komplett derogativ zeigte, wie intellektuellenfeindlich diese Kultur ist. Wenn ihr also ma wieder einen Wissenschaftsvortrag sehr, nennt den Vortragenden „Wissenschaftler“ und gebt ihm ein Bier aus, und bei den Damen: nennt sie „Wissenschaftlerin“ und gebt ihr einen Cider aus.