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Textwelten – Wie man so klingt, wie man klingen soll.

Eine grundlegende Erkenntnis der Literatur- und Sprachbeschäftigung ist, dass alles Text sein kann. Allerdings haben Texte soziale Funktionen, die von verschiedenen Merkmalen abhängen: Vokabular, Ansprechhaltung und Komplexität des Satzbaus sind nur ein paar der Stellschrauben an denen mal so drehen kann, damit ein passender Text herauskommt.

Das bedeutet auch, dass jegliche Art von Text einfach gefaked werden kann, wenn man weiß, nach welchen Regeln diese Art von Text geschrieben werden und damit auch, was Leser von einem Text erwarten. Das ist insbesondere kritisch, wenn es sich um wissenschaftliche oder journalistische Texte handelt, da diesen beiden Kategorien eine soziale und politische Relevanz zugeordnet wird, die Auswirkung auf die Realität hat. Dabei könnte jeder wissenschaftliche und journalistische Text auch reine Fiktion sein.

Im neuen Projekt „Textwelten“ werde ich versuchen möglichst viele Arten von Texten zu erklären, in dem ich einfach Beispiele fiktionalen Inhalts schreibe und an denen erkläre, was die Art des Textes ausmacht. Diese Übung ist hauptsächlich dafür gedacht, sich in bester Jonathan Swift Tradition über die meisten Leute, die Texte produzieren und glauben, dass diese einen Anspruch auf Wahrhaftigkeit oder Glaubwürdigkeit haben, lustig zu machen. Diese Kategorien werden allesamt sozial mit der Art des Textes generiert und sind damit ein wunderbares Beispiel darüber, wie soziale Konstruktionen Realität erschaffen, ohne dass es dafür eine Sachbasis geben muss. Wer also glaubt, dass das was er oder sie wahrnimmt und dann in Sprache wiedergibt irgendwie Realität abbildet, irrt sich: es generiert Realität. Das bedeutet dann auch, dass hier genauso der Suspence of Disbelief ausgeschaltet werden muss und das passiert über die Konventionen, die hier gezeigt werden sollen. 

Alice hinter den Spiegeln – Review

Ich war mit Isa im Kino, um Alice hinter den Spiegeln zu sehen. Während der erste Alice Film als das dritte Buch der Alice Serie gesehen werden kann ((Und ich schlicht und ergreifend nicht mehr dazu sage, bis jemand mich nervt es zu tun.)) ist hinter den Spiegeln eine neue eigenständige Geschichte, die den erwachsenen Umgang mit dem Alice Stoff, der schon im ersten Film angefangen wurde, weiterführt.

Während die Alice Bücher eine kindliche Perspektive auf die Welt einnehmen, sind die Filme allegorische Verarbeitungen mit einem Coming of Age Feeling. Sie behandeln philosophische Themen einer im Viktorianismus erwachsen werdenden Alice. Beschäftigt sich der erste Film mit der Wichtigkeit der Phantasie und eigenen Selbstbestimmung, nimmt der zweite zu diesen Themen auch noch die Frage der Vergänglichkeit hinzu. Alice sieht sich mit einer Welt konfrontiert in der ihr als junger Frau nur eine Nebenposition zugewiesen wird, obwohl sie sich im ersten Film schon etwas Autonomie erarbeitet, schlägt diese nun zurück. Der Volldepp Hamish, dessen Hochzeit sie ausgeschlagen hat, will sich nach ihrer Rückkehr aus China an ihr rächen und ihr, ihren Platz zeigen. Stattdessen fällt Alice durch den Spiegel und muss sich um die Familie des Mad Hatters kümmern. Dazu trifft sie Zeit und versucht mit dessen Chronosphäre die Geschichte zu verändern um am Ende festzustellen, dass Zeit nicht ihr Feind ist und man seine Geschichte nicht verändern kann.

Trotzdem ist diese Geschichte wieder eine der weiblichen Ermächtigung. Alice ist sehr eigenständig und wird von den Bewohnern des Wunderlands dazu angestachelt es noch mehr zu sein. Die viktorianische Wirklichkeit, die in diesem Film eine etwas größere Rolle einnimmt wird in ihrem Sexismus realistisch dargestellt. Trotzdem steht am Ende wieder die Botschaft des ersten Films: Phantasie und Eigenständigkeit sind die wichtigsten Eigenschaften, die wir haben können. Wir sollten sie uns nicht von einer engen Gesellschaft nehmen lassen.

Oder wie es Alice sagt: „I’m able to do seven impossible things before breakfast.“

Sommermorgen 13.06.2016

Mühsam reckt sich das Morgengrauen der Sonne entgegen, streckt seine Arme und versucht im grauen Nieselregen aufzustehen. Die Frische der wässrigen Luft unter dem dauerhaft bedeckten Himmel verspricht eine Kühle, die nach der Hitze der Nacht nur klärend wirken kann. Der neue Tag sieht sich in den Trümmern der Nacht um. Hier liegt eine schwarz-weiß-rote Fahne, dort eine Patronehülse, hier ein verbrannter Regenbogen, dort ein zertretener Bierbecher.

Im nationalen Freudentaumel über ein gewonnenes Spiel ist zu erkennen, dass Exzess gefährlich und wieder üblich ist. Sport ist die Ersatzdroge für Völker, die glauben, dass sie nationale Identität brauchen, weil die Identität des Einzelnen schon aufs Feinste zermahlen ist und Gemeinschaft nur darüber herzustellen ist, vor dem Fernseher den Volksvertretern beim Rasenkampf zuzusehen. Und so sitzen tausende Nationaltrainer in der Etappe und warten auf den Sieg, auf das wir in Glorie aufgehen.

Gleichzeitig leckt das Blut unter der verschlossenen Tür eines Nachtklubs hervor. Auch hier erkennt man die Gefährlichkeit des Exzesses, wenn die Identität verwundet wird. Denn allein die Tatsache, dass jemand anders liebt, bedeutet schon eine Bedrohung des Seins, die in Pulverrauch untergehen muss, aber kein Thema ist, solange man die Überreaktion aus Angst einem dämonischen Bösen unterschieben kann, das noch mehr Überreaktion und Angst rechtfertigt. Denn Angst ist irrational und damit der Freibrief für das Gewissen, wenn man die Trümmer des eigenen Handeln sieht.

Der Tag ist grau, der Regen leicht, aber dauerhaft und der Kater am Morgen nach einer Nacht voller Drogen umso schmerzhafter. Es ist der Moment in dem der Vorsatz wächst, nie wieder so über die Stränge zu schlagen und der in Kürze vergessen ist, wenn die Realität wieder so sehr weh tut, dass es nur noch mit Drogen zu ertragen ist.

Werbung! – Überleben ist ein guter Anfang und Der Fluch des Wüstenfeuers

Irgendwo in diesem Blog gibt es Interviews mit Andrea Bottlinger. ((Also genauer hier und hier.)) Andrea ist eine alte Bekannte und wird in nächster Zeit zwei neue Romane veröffentlichen. Deswegen gibt es jetzt hier kurz Werbung. Ich könnte hier jetzt viel schreiben, aber schicke euch lieber zu ihrer eigenen Ankündigung.

A Conversation with a Caterpillar

Heute ging auf twitter das Alice in Wonderland Fandom rum und mir fiel dann ein, dass ich doch mal diesen Text über die Unterhaltung zwischen der Raupe und Alice schreiben wollte.

Wir fangen mal mit dem Text an und bewegen uns dann von ihm weg.

The Caterpillar and Alice looked at each other for some time in silence: at last the Caterpillar took the hookah out of its mouth, and addressed her in a languid, sleepy voice.
‚Who are YOU?‘ said the Caterpillar.
This was not an encouraging opening for a conversation. Alice replied, rather shyly, ‚I—I hardly know, sir, just at present—at least I know who I WAS when I got up this morning, but I think I must have been changed several times since then.‘
‚What do you mean by that?‘ said the Caterpillar sternly. ‚Explain yourself!‘
‚I can’t explain MYSELF, I’m afraid, sir‘ said Alice, ‚because I’m not myself, you see.‘
‚I don’t see,‘ said the Caterpillar.
‚I’m afraid I can’t put it more clearly,‘ Alice replied very politely, ‚for I can’t understand it myself to begin with; and being so many different sizes in a day is very confusing.‘
‚It isn’t,‘ said the Caterpillar.
‚Well, perhaps you haven’t found it so yet,‘ said Alice; ‚but when you have to turn into a chrysalis—you will some day, you know—and then after that into a butterfly, I should think you’ll feel it a little queer, won’t you?‘
‚Not a bit,‘ said the Caterpillar.
‚Well, perhaps your feelings may be different,‘ said Alice; ‚all I know is, it would feel very queer to ME.‘
‚You!‘ said the Caterpillar contemptuously. ‚Who are YOU?‘

Alice in Wonderland by Lewis Carroll

So, wir bewegen uns da jetzt ein bißchen rum und machen Ebenen auf, und wieder zu.

Falsche Annahmen und Kommunikationszusammenbrüche

Die Kommunikation zwischen Alice und der Raupe ist irgendwie gestört und irgendwie auch nicht. Carroll hat sehr viel Spaß damit Sachen wörtlich zu nehmen, die metaphorisch gemeint sind um aufzuzeigen wie bekloppt die sozialen Konventionen in Sprache sein können. Alice ist durchgehend verwirrt vom Wunderland und hat mehrfach ihre relative Größe geändert, etwas, das Menschen normalerweise nicht tun. Raupen wiederum tun es den ganzen Tag zur Fortbewegung und so nimmt das Unheil seinen Lauf. Alice antwortet auf die erste Frage komplett selbstreferenziell und ab da geht’s bergab, weil die Raupe nicht anderes tut. Alices ungeduldiges „you see.“ funktioniert dann auch nicht, weil Raupen nicht sehen können und der letzte Versuch ihre Erfahrung über das Beispiel der natürlichen Entwicklung, die man so als Raupe durchmacht, ist dann auch zum Scheitern verurteilt. Während Alice sich nur auf ihre eigene Verwirrung und Erfahrung konzentriert, die sie über ihre eigene körperliche Identität zweifeln lässt, macht die Raupe dasselbe, allerdings bestätigen sie Alices Ausführung in der Normalität ihrer eigenen Erfahrung. Damit bricht die Kommunikation hier komplett zusammen.

Kindeserfahrungen und Albträume

Alice in Wonderland ist ein Kinderbuch und damit kann man auch darauf abstellen, dass Kindeserfahrungen im Mittelpunkt stehen. Für Alice scheinen Größen- und damit auch Perspektivänderungen sehr verwirrend zu sein. Das Wunderland wirkt manchmal nahezu albtraumhaft in seiner Enttäuschung aller Erwartungen an die Welt, die man gerade erst entwickelt hat. Doch sind diese Veränderungen nicht auch die Erfahrung von Kindern? Größenänderung, eine Welt, die ihre Erwartungen an einen immer wieder ändert und in ihrer Komplexität erhöht, und eine dauerhafte Zunahme von sozialen Konstrukten, deren Realität nur auf der gegenseitigen Versicherung ihrer Existenz beruhen, sind hochgradig verwirrend für Kinder und die Welt der Erwachsenen vermittelt ihnen gerne mal, dass das alles nur an ihnen liegt, dabei sehen sie die Welt noch nicht durch die ganzen sozialen Filter, die wir im Laufe des Lebens erwerben und mit denen wir uns und allen anderen die Realität unserer Welterfahrung versichern.

Identität

Das bringt uns dann zum philosophischen Teil: die Frage nach der eigenen Identität, die Alice hier gestellt wird. „Who are you?“ fragt die Raupe und Alice antwortet aus einer reinen Körperlichkeit heraus, die sie an der Beantwortung der Frage scheitern lässt. Doch, wer sind wir eigentlich, wenn wir unsere physischen Dimensionen weglassen. Wer sind wir, wenn wir unsere Namen, diese von Fremden gegebenen Lautzuordnungen, weglassen? Was kann Alice also überhaupt antworten, worüber sie sich sicher sein kann? Die Raupe stellt also die Frage nach der eigenen Identität, die verloren geht, wenn wir uns der Welt nicht mehr sicher sein können. Die Antwort auf die Frage ist dann auch die Herausforderung vor der nicht nur Alice steht, wenn sie gefragt wird:

Who are you?

Wofür kämpfst du? Und wie?

Zu einem meiner Lieblingswerken aus den Dresden Files von Jim Butcher gehört die Kurzgeschichte „The Warrior“ aus der Sammlung Side Jobs. In dieser Geschichte geht es vordergründig um jemanden, der Harry Dresdens Freund Michael von einem selbsternannten Krieger des Guten bedroht wird. Doch die Action ist gar nicht so sehr die Sache der Geschichte. Für mich ist es das finale Gespräch zwischen Harry Dresden und dem Erzengel Uriel:

‚Courtney‘, Jake said. ‚The little girl who almost got hit by a car.‘

‚What about her?‘ I asked.

‚You saved her life,‘ he said. ‚Moreover, you noted the bruise on her cheek – one she acquired from her abusive father. Your presence heightened her mother’s response to the realization that her daughter was being abused. She moved out the next morning.‘ He spread his hands. ‚In that moment, you saved a child’s life, prevented her mother from alcohol addiction in response to the loss, and shattered a generational cycle of abuse more than three hundred years old.‘

‚I … um.‘

‚Chuck the electrician,‘ Jake continued. ‚He was drunk because he’d been fighting with his wife. Two months from now, their four-year-old daughter is going to be diagnosed with cancer and require a marrow transplant. Her father is the only viable donor. You saved his life with what you did – and his daughter’s life, too. And the struggle that family is going to face together is going to leave them stronger and happier than they’ve ever been.‘

I grunted. ‚That smells an awful lot like predestination to me. What if those people choose something different?‘

‚It’s a complex issue,‘ Jake admitted. ‚But think of the course of the future as, oh, flowing water. If you know the lay of the land, you can make a good guess where it’s going. Now, someone can always come along and dig a ditch and change that flow of water – but honestly, you’d be shocked how seldom people truly choose to exercise their will withing their lives.‘

I grunted. ‚What about second baseperson Kelly? I saved her life, too?‘

‚No. But you made a young woman feel better in a moment where she felt as though she didn’t have anyone she could talk to. Just a few kind words. But it’s going to make her think about the difference those words made. She’s got a good chance of winding up as a counselor to her fellow man. The five minutes of kindness you showed her is going to help thousands of others.‘ He spread his hands. ‚And that only takes into account the past day. Despair and pain were averted, loss and tragedy thwarted. Do you think you haven’t struck a blow for the light, Warrior?‘

‚Um…‘

‚And last but not least, let’s not forget Michael,‘ he said. ‚He’s a good man, but where his childrean are involved, he can be completely irrational. He was a hairbreadth from losing control when he stood over Douglas on the beach. Your words, your presence, your will helped him to choose mercy over vengeance.‘

I just stared at him for a moment. ‚But … I didn’t actually mean to do any of that.‘

He smiled. ‚But you chose the actions that led to it. No one forced you to do it. And to those people, what you did saved them from danger as real as any creature of the night.‘ He turned to look down at the church below and pursed his lops. ‚People have far more power than they realize, if they would only choose to use it. Michael might not be cutting demons with a sword anymore, Harry. but don’t think for a second that he isn’t fighting the good fight. It’s just harder for you to see the results from down here.‘

I swigged more Scotch, thinking about that.

‚He’s happier now,‘ I said. ‚His family, too.‘

‚Funny how making good choices leads to that.‘

Aus: Butcher, Jim. ‘The Warrior’ in Side Jobs. 2010.

Der wahre Kampf zwischen Gut und Böse findet also regelmäßig durch kleine Taten des Mitgefühls, des Mitleids und der Menschlichkeit statt. Sei es, dass man den Menschen an der Kasse des Supermarkts als Menschen anerkennt, seine Nachbarn grüßt und mit ihnen redet oder einfach nur einer alten Dame mal über die Strasse hilft. Einfache Akte der Menschlichkeit machen also einen Unterschied und zwar mehr als man das denkt. Es sind nämlich diese Akte der Menschlichkeit, die sich multiplizieren. Und wie kalt und furchtbar die Entmenschlichung anderer Personen durch Selbstzentriertheit sein kann beschreibt Brené Brown sehr gut:

[…]On the way home, I stopped at Barnes&Noble to pick up a magazine. The woman ahead of me in line bought two books, applied for a new „reader card,“ and asked to get one book gift-wrapped without getting off her cell phone. She plowed though the entire exchange without making eye contact or directly speaking to the young woman working at the counter. She never acknowledged the presence of the human being across from her.

After leaving Barnes&Noble, I went to a drive-through fast food restaurant to get a Diet Dr. Pepper. Right as I pulled up to the window, my cell phone rang. I wasn’t quite sure, but I thought it might be Charlie’s school calling, so I answered it. It wasn’t the school – it was someone calling to confirm an appointment. I got off the phone as quickly as I could.

In the short time it took me to say, „Yes, I’ll be at my appointment,“ the woman in the window and I had finished our soda-for-money transaction. I apologized to the second I got off of the phone. I said, „I’m so sorry. The phone rang right when I was pulling up and I thought it was my son’s school.“

I must have surprised her because she got huge tears in her eyes and said, „Thank you. Thank you so much. You have no idea how humiliating it is sometimes. They don’t even see us.“

Aus: Brown, Brené. Daring Greatly. 2014

So wie wir Menschen im Alltag durch Missbilligung schädigen und durch einfache Gesten wieder zu anderen menschlichen Wesen machen, so ist jeder kleine Akt von Menschlichkeit ein Gegengift zu den psychischen Schäden, die eine immer anonymer werdende Gesellschaft an uns allen anrichtet. 

Das kann man auch in der Schule sehen. Die Schülerinnen und Schüler als Menschen wahr- und ernstzunehmen fällt als Lehrperson nicht immer leicht, weil man immer denkt, dass da je eine Gruppe vor einem sitzt. Es ist aber keine Gruppe, es sind Individuen in einem Raum und jede Interaktion mit einem davon ist eine öffentliche zwischen einem selbst und dem Individuum gegenüber. Es gibt nicht „die Klasse“, es gibt nur die Menschen, die da drin sitzen. Bricht man dann eben diese Gruppensicht auf, dann kann man auch pädagogisch was erreichen. Das Ernstnehmen von Menschen als Menschen ist der Beginn davon etwas für diese Welt zu tun.

Doch es gibt neben dem grundsätzlichen Gedanken etwas dafür zu tun, dass die Welt ein besserer Ort wird, noch eine weitere Dimension, die philosophisch immer dazu gehört: die Frage nach der Art und Weise, in der man mit anderen Menschen interagiert und daran angeknüpft die Frage des Zwecks. Beides hängt zusammen. Der Zweck diktiert nämlich die Art und Weise, wie man interagiert. Eine positive Interaktion kann eigentlich nur erfolgen, wenn der Zweck an sich auf die Person bezieht und nicht auf sekundäre Motive. Wenn das Ziel einer Interaktion nicht die Bereicherung des Lebens aller Personen ist, die daran beteiligt sind, dann wird da auch nix besser.

Und so muss man sich auch immer die Frage stellen, welcher Modus der richtige ist und ob das eigene gut gemeinte Handeln auch eine gute Wirkung entfaltet. In der Folge One Day, One Room von House. M.D. sieht sich der Hauptcharakter einer jungen Frau gegenüber, die vergewaltigt wurde und nun beruhend auf ihrem Glauben das Baby behalten möchte. Durch ein – für House uncharakteristisches – persönliches Öffnen bekommt er sie dazu ihre Geschichte zu teilen und das Kind abzutreiben. Ganz am Ende der Folge findet dann folgender Dialog statt:

Cuddy: She’s gonna be OK.

House: Yeah, it’s that simple.

Cuddy: She’s talking about what happened. That’s huge. You did good.

House: Everyone will tell you: That’s what we gotta make her do. We gotta help her, right? Except we can’t. Instead, we drag out her story and tell each other that’ll help her heal. We feel real good about ourselves. Maybe all we’ve done is make a girl cry.

Wilson: Then why did you…?

House: Because, I don’t know.

Wilson: You gonna follow up with her?

House: One day, one room.

House M.D. Season 3/12 One Day, One Room

Die zentrale Frage ist also auch immer, wie wir etwas tun und für wen es ultimativ getan wird. Wird es getan, damit wir uns gut fühlen? Wird es vielleicht nur getan, um aus der Geschichte einen Gewinn zu schlagen, egal ob monetär oder moralisch? Oder damit danach darüber erzählt werden kann, wie gut man selbst ist?

Hier kommt eine Unterscheidung ins Spiel, die immer wieder sehr wichtig ist. Gut und böse sind keine inherent moralischen Kategorien, die moralischen Kategorien sind richtig und falsch. Eine gute Handlung ist nicht unbedingt richtig. Ganz im Gegenteil gut war sehr oft schon die Begründung dafür Dinge zu tun, die schlicht falsch sind. Und am Ende ist die Frage, ob man sich am Ende des Tages im Spiegel ansehen kann, wichtiger als der Ruhm, den man dafür bekommt die Geschichte eines Menschen ans Tageslicht gezerrt zu haben, oder darauf hingewiesen zu haben, wie gut man selbst ist.

Also, die Welt ist dunkel und wir sollten alle unsere Lichter entzünden, damit sie etwas heller wird. Doch wenn es nur darum geht, dass wir im Licht besser zu sehen sind, dann zeigen wir niemandem den Weg und bleiben ewig stehen.

Rezension – Phoebe Gloeckner – Diary of a Teenage Girl

Im Urlaub fand ich in einem Comicladen eines dieser Bücher, das man einfach mal so mitnimmt. Diesmal war es Diary of a Teenage Girl von Phoebe Gloeckner. Das Buch wird wohl zeitnah in den Kinos erscheinen und ist etwas älter.

Das Buch ist das bebilderte Tagebuch von Minni Goetze (gesprochen: „Getz“), die im Alter von 15 Jahren im San Francisco der späten 70er Jahre wohnt und direkt am Anfang des Buches ihre Jungfräulichkeit an den eher schleimigen Freund ihrer Mutter. Ab da folgt der Leser Minnie durch ihre Tagebucheinträge und ungefähr ein Jahr ihres Lebens, das sie mit Angst, Unsicherheit, anfangendem Erwachsensein und Abscheu gegenüber den echten Erwachsenen verbringt. Dabei schwankt sie von absolut zufälligem Verhalten und Assoziieren, meist auch in passenden Bildern zu Kommentaren über die Welt, die in ihrer Zerstreutheit auch pointiert sind. Dazwischen hat sie die ganze Zeit Sex mit Männern und Teenagern, die absolut schlecht für sie sind, zerstreitet sich mit ihren Freunden und kommt wieder zusammen, nimmt Drogen, trinkt Alkohol und das meiste davon unter Aufsicht oder Betreiben von Erwachsenen, von denen der ihr leicht selbstzentrierter Ziehvater Pascal der einzige zu sein scheint, der sich ernsthaft für Minnie interessiert, die den Egozentrismus ihrer Umgebung spiegelt. Dieser bricht erst am Ende des Buches, wenn ihre Mutter das Tagebuch entdeckt und damit auch herausfindet, dass Minnie regelmäßig mit ihrem Freund Monroe schläft, der ansonsten nur durch Alkoholismus und Ponzi-Scheme ähnlichen Vertrieb von Nahrungsergänzungsmitteln auffällt. Ihre Mutter scheint das auch nur zu stören, weil Monroe auch mit ihr schläft und ihr damit untreu wird.

Das ganze Buch liest sich wie ein Horrorroman für Jugensozialarbeiter und zeigt wie gefährlich die Welt in den 70er Jahren war, als sich Erwachsene primär um sich selbst gekümmert haben und nicht die ganze Zeit panisch um ihre Kinder. Minnies Reise zur eigenen Mündigkeit ist eine Strasse voller ungeschütztem Sex, Drogen und mangelnder Fürsorge. Trotzdem kommt sie am Ende an einer Stelle an, von der sie in ein Leben starten kann, dass eine tiefere Bedeutung für sie hat. Damit ist Diary of a Teenage Girl ein Bildungsroman der Moderne, der durch die Zeichnungen und Gedichte wächst, die zwischen die Tagebucheinträge gestreut sind. Der Modus des fiktiven Tagebuchs bringt den Lesenden der Hauptfigur intim nahe, aber lässt einen auch immer Distanz gewinnen. Minnie scheint keine verlässliche Erzählerin zu sein, und damit schwebt das Buch in einer spannenden Ungewissheit.

Diary of a Teenage Girl scheint in amerikanischen Literaturkursen angekommen zu sein, und ich sehe warum dies der Fall ist. Man kann schön (sinnlos) an diesem Buch heruminterpretieren, ohne sich zu weit aus dem Fenster zu hängen. Allen anderen ist das Buch empfohlen, wenn sie sich auf eine persönliche Geschichte einlassen können ohne sofort in tausend Empörungen und Definitionen zu denken. Es ist ein anderes Leben, dass man erleben kann und das ist alles was Literatur leisten kann.

Auf der Suche nach Zerstörung…

Okay. Das hier ist mal was ganz anderes als meine normalen Einträge. Das hier ist leichte Literaturwissenschaft. Ich habe euch gewarnt und hoffe, dass ich wenigstens irgendwie einen Cut einbauen kann, weil das wird lang.

1. Auf der Suche nach Zerstörung

Wir sind alle auf der Suche nach etwas. Manche suchen Erfüllung, andere suchen ihr Glück und dann gibt es diejenigen, die ihre eigene Zerstörung suchen. Manchmal ist es Menschen gar nicht bewusst, was sie suchen, denn unser Gehirn ist in der Lage die eigentlichen Ziele unseres Handelns vor uns selbst zu verstecken ((Obwohl wir uns relativ sicher sind, dass unser Bewusstsein unser Handeln steuert, sagen neurowissenschaftliche Erkenntnisse, dass das Bewusstsein auch nur Handeln, das vom Gehirn angeregt wird nachrationalisiert.)). Der Mensch weiß also manchmal gar nicht, warum er etwas tut und ob das Ziel, das er zu verfolgen scheint, auch dem entspricht, was er unbewusst zu erreichen sucht. Dies trifft besonders für Menschen zu, die nicht ganz bei Sinnen oder anders ausgedrückt im Delirium sind.

Als ich vor knapp sieben Jahren das erste Mal Neil Gaimans Sandman gelesen habe, hat mich besonders das siebte Buch der Collected Library Brief Lives fasziniert. Es ist ein Roadmovie an dessen Ende der Hauptcharakter Dream ((Der Sandman in Sandman.)) die Schlüsselhandlung begeht, die zu Ende seiner Existenz am Ende der Comicserie führt. Damals war mir noch nicht klar, dass man dieses Buch als komplette Allegorie lesen kann. Ein Gedanke, den ich hier am Beispiel einer anderen Geschichte aus dem Sandman Band Endless Nights formulieren möchte. Weiterlesen

Rezension – Katrin Rönicke – Bitte Freimachen

Zum ersten Mal hörte ich von Katrin Rönicke als sie bei CRE mit Tim Pritlove über Feminismus sprach.  Schon an diesem Gespräch beeindruckte mich, dass es bei ihrem Feminismus weniger um Kampf als mehr um Kommunikation geht. Dieser Eindruck bestätigte sich später auch beim dauerhaften Hören des Lila Podcast.

Nun hat Katrin Rönicke ihr erstes Buch herausgebracht. Bitte Freimachen! ist laut Untertitel eine Anleitung zur Emanzipation und obwohl man erst einmal davon ausgehen muss, dass damit hauptsächlich Frauen gemeint sind, ist es auch eine Anleitung für Männer, denn Katrin Rönicke ist, wie sie selbst sagt, die männerfreundliche Feministin. Und sie macht sich in diesem Buch frei, während sie den Leserinnen zeigt, wie wir uns alle freier machen können. Dabei hatte ich öfter das Gefühl, dass ich die Autorin am liebsten umarmen möchte. Entweder wegen der eher schmerzhaften Geschichten, die sie von sich erzählt oder wegen der profunden einleuchtenden Erkenntnisse, die mir auch persönlich entweder zusagen oder ins Gedächtnis zurückgerufen haben, was ich selbst für richtig und wichtig erachte. Dabei wird die Perspektive im Laufe des Buches immer breiter. Es fängt mit den Körperbildern junger Frauen an, geht über geschlechterorientierte Werbung und Produkte zu den Fragen, warum wir eigentlich Geschlechterrollen und Beziehungen so denken und leben, wie wir es tun und warum das eigentlich sehr ungesund für uns, und zwar Männer wie Frauen, ist.

Es gab mehrere Kapitel, die bei mir eine besondere Resonanz hervorgerufen haben, aber keines so wie das Beziehungskapitel, das sehr gut aufzeigt wie begrenzt unsere Vorstellungen darüber sind, wie wir miteinander zusammen leben und Beziehungen gestalten. Katrin Rönicke sagt hier vieles, das dringend in den Allgemeingeist übergehen sollte, es aber wahrscheinlich wenig tut. Wenn es sie beruhigt: es waren für mich die richtigen Worte zu richtigen Zeit.

Jenseits meines persönlichen Eindrucks, ist wohl die größte Überraschung, die eine unbedarfte Leserin bei diesem Buch haben wird, dass die Autorin Emanzipation in ihrer breiten Bedeutung begreift. Es geht hier also nicht um diese alte Vorstellung, dass Frauen sich emanzipieren müssen, sondern dass wir alle uns von Geschlechterrollen emanzipieren müssen, denn Männer wie Frauen leiden unter diesen Konstrukten, von denen wir glauben, dass wir ihnen dringend folgen müssen.

Also, gehet hin und kauft und lest Bitte Freimachen! und macht euch frei!

Rezension: Castle Hangnail

Ich war wohl schon ein Fan von Ursula Vernon, als die meisten Menschen sie nur als Internetphänomen auf Livejournal kannten und wahrscheinlich einer der ersten Kunden in Deutschland. Auch heute noch hängt nur ihre Kunst in meiner Wohnung und war sogar Inspiration für die außergewöhnlich bunte Gestaltung der selbigen. ((Ganz ehrlich, die Menge an Leuten, die ungläubig schauen, wenn ich sage, dass ich in einer kribbelbunten Wohnung wohne, ist Legion. Anscheinend muss du auch schwarz wohnen, wenn du schwarz trägst.))

Nun, Mrs. Vernon hat mit Castle Hangnail ihr erstes Buch für Kinder im Alter von 10-13 Jahren geschrieben. Ich habe es mir aus Impuls bestellt und es sehr genossen. Besser gesagt, ich habe das Buch in circa fünf Stunden verschlungen.

Inhalt

Die Prämisse von Castle Hangnail ist liebevoll verschroben wie vieles, dass Mrs. Vernon so produziert. Die magische Burg Hangnail bekommt von der Verwaltung für Magie eine Deadline gesetzt, entweder einen neuen Burgherren zu bekommen, oder sie wird aufgelassen und alle Lakaien werden entlassen. Die Situation scheint ernst, bis auf einmal eine neue Burgherrin vor der Tür steht. Es ist die zwölfjährige Molly, die sich als böse Hexe (Wicked Witch) für die Burg bewerben will. Das gefällt gerade dem traditionsbewußten Guardian, den Molly erst einmal in Majordomo umbenennt, nicht. Er mutmaßt seit Mollys Erscheinen, dass etwas mit seiner neuen Hausherrin nicht stimmt und lässt sich auch nicht von den mehr oder weniger geplanten Erfüllungen der Aufgaben zur Übernahme der Burg komplett überzeugen. Und das zurecht, Molly ist nämlich gar nicht diejenige, die aufgefordert wurde die Burg zu übernehmen, aber als diese dann erscheint haben die Lakaien, das nahe Dorf und der Leser schon sein Herz an Molly verloren.

Stil

Castle Hangnail ist diese Art von Buch für jüngere Kinder, das etliche schwierige Anforderungen stellt: es soll nicht so blöde und lustig sein, aber leicht, es soll echte Konflikte erhalten, aber nicht zu düster sein und dabei bevorzugt noch irgendwie eine positive Botschaft für die Kinder haben. Das ist erstaunlich schwierig zu machen, doch Mrs. Vernon schafft es. Das liegt unter anderem wohl daran, dass sie einem Prinzip treu bleibt, das man schon bei Digger beobachten konnte. Ihre Charaktere sind glaubhafte Personen und ihre Heldinnen mit Vernunft und Bodenständigkeit ausgestattet. So ist es auch kein Wunder, dass Molly in ihrem Kampf um die Burg so authentisch ist. Dazu findet der wissende Leser alle Sachen, die Ursula selbst toll findet: Gärtnerei, eigenartige Tiere und leichten Gothic Style. Sie wäre selbst eine gute Wicked Witch geworden, wäre sie nicht die Autorin des Buches.

Sprache und Alter

Da das Buch derzeit nur auf Englisch existiert muss ich noch etwas über die Sprache sagen. Wie auch bei ihren Dragonbreath Büchern, ist die Sprache des Buches etwas einfacher, aber keinesfalls auf diese gezwungene Art kindgerecht, die man eigentlich nur als verdummend bezeichnen kann. Das bedeutet auch, dass das Buch für deutsche Kinder in diesem Alter aufgrund der Sprachhürde vielleicht erst einmal nichts ist. ((Wir hoffen auf eine Übersetzung. EINE GUTE!)) Man kann Kinder ab ca. 8 Jahren das Buch problemlos lesen lassen. Ich bin soundso der Meinung, dass düstere Themen für Kinder okay, sind aber Castle Hangnail ist nicht wirklich düster und wird auch die wirklich bösen Protagonisten zeichnen sich primär dadurch aus, dass sie amoralisch sind.

Illustrationen

Ursula Vernon ist auch Künstlerin und Illustratorin, und das zeigt auch Castle Hangnail wieder. Die Illustrationen sind zwar nicht der Mittelpunkt des Buches, aber sie vermitteln an entsprechenden Stellen der Erzählung eine zusätzliche Tiefe. Die Liebe, die hier in die Illustration geht, zeigt sich auch im Text und macht das Buch wirklich zu einem Erlebnis.

Fazit

Das Buch bekommt von mir eine vollkommene Empfehlung. Ich habe mich seit langem nicht mehr so amüsiert und mit Charakteren identifiziert wie in diesem Buch. Ich werde überlegen es meinen Schülern als Buch zur Lektüre zu empfehlen.