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HCH018 Nach Mecklenburg-Vorpommern

In dieser eher denkerischen Folge gibt es den Blick aus der Distanz auf die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Irgendwo zwischen Dystopie und Resignation erwächst auch hier wieder die Hoffnung im Kleinen.

Als kleine Anregung sei noch auf This is Water von David Foster Wallace hingewiesen, das einen ähnlichen Gedanken, wie ich ihn formuliere besser aufgreift.

Lasst uns mehr über Geld reden…

In einem der geschützten Kommunikationsräume in diesem Netz bekam ich gerade einen Impuls meine Finanzen mal aufzuschreiben und darüber zu schreiben, wie die so aussehen. Es ist ein sehr interessantes Experiment, das hier seinen Ursprung hat. Dazu gibt es jetzt ein paar Gedanken…

Das verbotene Thema

Über Geld zu reden gilt als Tabu. Es bringt Neid, Ungerechtigkeit und so weiter. Das ist jedenfalls etwas, das meine Eltern sagen. Ich habe das nie so empfunden, was unter anderem daran liegt, dass mein Gehalt öffentlich ist. Doch es ist ein verbotenes Thema, aber warum eigentlich?

Status, Status, fuck you…

Es geht hier eigentlich um Status und es geht auch wieder um die Annahme, dass die neoliberale Denke des selbstbezogenen rational denkenden Konkurrenzmenschen, tatsächlich eine realistische Beschreibung von Menschen ist. Dass das Quatsch ist, habe ich nun mittlerweile so länglich beschrieben, dass ich es nicht noch einmal mache. Die Frage, die sich aber stellt ist: wer hat eigentlich davon noch einen Vorteil, dass die Gesellschaft nicht großflächig anfängt über ihr Einkommen zu reden? Es ist die neoliberal organisierte Wirtschaft, die Vorteile davon hat, dass Menschen Neid aufeinander haben und eben nicht vergleichen können, ob sie genauso viel Geld bekommen wie andere. Dann kann man nämlich jeder Person etwas anderes erzählen und mit dem angeblichen Gehalt der anderen den Preis drücken.

Dieses soziale Konstrukt hat wie in vielen anderen Bereichen unser Denken vergiftet. Nun gibt es Neid schon immer, aber man weiß trotzdem grob, welche finanziellen Verhältnisse andere Menschen haben und meist ist es gar nicht so wichtig. Geld ist für erstaunlich viele Menschen nicht der Mittelpunkt der Welt und wenn es für das für Menschen ist, dann eigentlich nur aus zwei möglichen Gründen: sie haben zuviel oder zuwenig davon. Letztere sind in ihrer Existenz bedroht, erstere wissen nicht was sie mit der Kohle anfangen sollen oder haben Angst sie zu verlieren. Beides verbaut die Sicht auf die wichtigen Dinge im Leben. Das bedeutet umso mehr, dass Geld ein Thema werden muss, über das man redet, allein schon aus gesellschaftlichen Gerechtigkeitserwägungen. Solange Geld von Menschen als Neidmotor gesehen wird, solange kann es einfach zur gesellschaftlichen Manipulation genutzt werden.

Lasst uns mehr über Geld reden…

Deswegen denke ich, dass es besser ist, wenn wir mehr über Geld reden. Nicht unbedingt mit der lieben weiten Welt, dafür ist die Zelt noch nicht bereit. ((Wir sind ja nicht Norwegen, wo die Steuerdaten von allen öffentlich sind.)) Denn dafür müssten die Deutschen in der Breite die Heterogenität der eigenen Gesellschaft akzeptieren und sich dann mit der Frage beschäftigen, was eigentlich die einzelnen sozialen Gruppen so ausmacht. Doch mit Freunden, Bekannten und so weiter, sollte man vielleicht regelmäßig über Geld reden, allein schon, weil die Person gegenüber vielleicht sogar eine Hilfestellung hat, wie man das eigene Problem lösen kann.

Aus der Zeitung – die Generation Z liegt auf der Gamescom rum…

„Pointiert gesagt: Man wurde – nach der „Prosumenten„-Phase des Web 2.0 – mit Haut und Haar wieder zum Konsumenten. Kann das ohne soziale Folgen bleiben? Schon heute halten es viele Jüngere ja für weniger absurd, große Umwege auf sich zu nehmen, um Pokémons einzusammeln, als sich etwa gegen den Zerfall Europas zu engagieren. Mit dem Übergang in die neue Epoche der Virtual-Reality-Spiele könnte der Abstand zur Lebenswirklichkeit noch einmal zunehmen. Innere Emigration darf man es vielleicht nicht nennen, wenn ein ganzes Subsystem der Gesellschaft diesen so viel logischer als die Wirklichkeit strukturierten Raum kollektiv aufsucht. Weltflucht aber allemal.“

Aus: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/auf-der-gamescom-in-koeln-herrscht-die-virtuelle-realitaet-14396612-p3.html

Oder um es anders zu sagen: die Generation Y hinterfragt gerade die Welt, während die Generation Z die Gegenbewegung ausführt und sich in eine konservative Duldungsstarre ergibt in der sie hofft, dass die schöne alte Welt, die ihre Vorgänger aus der Erkenntnis der dauerhaften Veränderung hinterfragen, wieder zurückkommt und sie auch alle tolle 9-5 Jobs mit Einfamilienhaus und Garten haben können.

Diesen Traum hat aber die Generation der Babyboomer mit ihrem Raubbau an der Welt zerstört und jetzt deren Verhalten zu simulieren dreht die Uhr nicht zurück.

Über die bröckelnde Wirklichkeit

Es heißt ja so schön, dass die moderne Technologie die Welt entzaubert und uns immer mehr Wahrheiten zeigen kann. Information ist unheimlich schnell und kann immer ungefilterter wahrgenommen werden. Das ist jedenfalls das Märchen, das sich da gegenseitig erzählt wird und das nur für wenige Menschen an sich wahr ist. In Stefan Schulz’ Buch Redaktionsschluss stellt er die Frage, ob und wie wir uns eigentlich noch darüber verständigen können, was uns betrifft. Paraphrasiert ist das die Frage nach der gesamtgesellschaftlichen Realitätskonstruktion, die durch Medien und gegenseitige Erzählung generiert wird.

Die wird eigentlich immer friedfertiger, weil der oder die Einzelne in der Facebooktimeline nur noch Sachen findet, die die eigene Realitätskonstruktion unterstützt und bevorzugt alles wegfiltert was ein Ausloggen verhindern kann. Der Anwender denkt also, dass das was ihn betrifft alle betrifft und seine Meinung die Mehrheitsmeinung ist. Das scheitert nur, wenn die Benutzer aus ihrer Weltsicht heraus versuchen ihre nichtvorhandene Reichweite auf Facebook zu benutzen, um die „Andersdenkenden“, die solche Nachrichten gar nicht zu sehen bekommen zu bekehren oder wenn die eigene Blase aus sozialen Gründen Menschen beinhaltet, die eine andere Realität haben.

Letztere sind dann meist der rassistische Onkel, dessen NPD Beiträge man lesen muss und erstere die Veganer und Vegetarier, die anderen Veganern und Vegetariern die ganze Zeit gequälte Tiere zeigen, damit diese aufhören Fleisch zu essen. Daran kann man auch erkennen, dass Realität für viele nur noch in Medien existiert und die meisten Menschen sich nach einer heilen Welt sehen, die ihnen digital vorgegaukelt wird und dann in einer massiven kognitiven Dissonanz mit der wahrgenommenen Realität endet, die sich dann halt auch entlädt. Dabei ist die Wirklichkeit, die uns verbindet meist ganz anders strukturiert als die Geschichten, die man sich erzählt und die Frage, was das Gute ist, hängt dann doch sehr von der eigenen Weltkonstruktion ab. Was dann passiert kann man sich nun immer wieder ansehen. Alle wollen nur das Gute, aber das gibt es nicht, denn die Welt ist komplex und wird nicht mehr verstanden. Stattdessen stehen sich Menschen mit ihren partikularen Weltkonstrukten gegenüber und schreien sich gegenseitig in Unverständnis an. Und weil es so schön ist, gibt es jetzt mal das aktuelle Beispiel.

Panama und Böhmermann, Edogan und PEGIDA, AfD und GEZ

Was hat das alles miteinander zu tun? Wenig? Nichts? Etwas? Das ist alles Realität, aber erstmal die groben Fakten. ((Details interessieren uns hier nicht. Die lenken eh nur ab.))

Die Fakten

Die Panamapapers sind das Ergebnis einer einjährigen Recherche von Datenleaks aus einer Anwaltskanzlei, die Briefkastenfirmen in Panama besorgt hat. Das Ergebnis ist erstaunlich: die Reichen haben Briefkastenfirmen und hinterziehen damit vielleicht(!) sogar Steuern. 

Jan Böhmermann hat den türkischen Staatspräsidenten Erdogan (und die komplette Türkei) in einem Schmähgedicht mit metaphorischer Gülle übergossen und vorher gesagt, dass man das nicht darf. Das ZDF hat das gelöscht, die Staatsanwälte ermitteln.

PEGIDA steht regelmäßig auf allen möglichen Plätzen und hetzt mehr oder weniger offen gegen die regierende Politikerkaste. Die selbe Gruppe an Menschen wählt die AfD und hofft, dass Politik mit dieser wieder ehrlich wird.

Dazu betiteln sie die Medien gerne als Lügenpresse, was dann AfD Europaparlamentarierin Beatrix von Storch ein gepfändetes Konto beschert, weil sie zwar bei Anne Will sitzt, aber das eigene Honorar nicht mitbezahlen möchte.

Die Sichtweisen

Bei den Panamapapers sind sich alle einig, dass sowas ((das ist nicht näher definiert)) nicht okay ist. Was immer das auch sein mag. Hier eine kurze unvollständige Liste:

  • Briefkastenfirmen an sich
  • Der Großkapitalismus
  • Steuerhinterziehung allgemein
  • Steuerhinterziehung des Cellisten von Vladimir Putin
  • Dass die da oben mit allem durchkommen
  • die Presse eh wieder lügt
  • bekannt wird, wer Briefkastenfirmen hat
  • in Idomeni Menschen sitzen und uns das hier interessiret
  • die immer noch alle Fleisch essen!
  • sinnloser Datenjournalismus ohne das Aufdecken einer Struktur

Im allgemeinen kann man hier sehr gut seine ungerichtete Unzfriedenheit gut wiederfinden. Es gibt nahezu niemanden der die Komplexität des Materials versteht und die Frage, wo eigentlich der Nachrichtenwert ist, also jetzt mal jenseits der SZ, die sehr viel Papier und Klickwerbung verkauft hat in den letzten Tagen. Das Ergebnis und die Wirkung dieses „größten Leaks in der Geschichte des Journalismus“ werden wohl in einem halben Jahr mit dem Wort „überschaubar“ gewertet werden. Sicher ist nur eins, man konnte sich empören, konnte sich ablenken und Gerechtigkeiten fordern, die dann nicht geliefert werden.

Zu Jan Böhmermann gibt es eher so Aussagen, dass es doch nicht sein kann, dass:

  • jemand das nicht lustig findet
  • jemand das lustig findet
  • jemand sich dadurch beleidigt fühlt
  • jemand sich nicht dadurch beleidigt fühlt
  • Satire alles können sollte
  • Satire nicht alles können sollte
  • das keine Kunst ist
  • das Kunst ist
  • Böhmermann angeklagt wird
  • Böhmermann nicht angeklagt wird
  • Erdogan das Ziel von Beleidigungen ist
  • Erdogan nicht das Ziel von Beleidigungen ist

Was dabei komplett verloren ging sind zwei Fragen, die mich hierzu auch umtreiben: 

Erstens wie möchten wir überhaupt miteinander kommunizieren. Kritik und Meinungsäußerung gegenüber Politikern ist nötig, sinnvoll und wichtig für eine Demokratie ((Siehe dann auch den nächsten Teil…)). Doch nur einfach nur Leute anpissen, ja auch mit der ironischen Brechung vorneweg, dass man sagt, dass es verboten ist, zeigt dann doch eine Art der Kommunikation, die einfach Beifall bekommt, aber von der niemand Ziel sein möchte. Deswegen gibt es Regeln, die bestimmte Arten von Äußerungen justiziabel machen. Dazu haben wir eh kaum eine moralisch bessere Position gegen Erdogan, kurz nachdem der uns vertraglich zugesichert hat uns schön die ganzen flüchtenden Syrer und Syrerinnen vom Leibe zu halten.

Das zweite ist die Frage, wer da eigentlich das Ziel der Aktion war. Immerhin haben sich viele Menschen dazu geäußert. Böhmermann ist, auch hier, Thema, aber ist es nicht auch die eigene Bigotterie in Deutschland? Zum einen haben wir Beleidigungsgesetze, zum anderen scheint es für Böhmermann nur soviel Zustimmung von den billigen Rängen zu geben, weil er einen aufgebauten Feind der Demokratie als Ziel hatte. Erdogan ist also das Ziel und als solches akzeptabel, weil er selbst eher zum Großherrschergebahren neigt. Wenn das Ziel die Bundeskanzlerin ist, ist es nicht mehr okay.

Das merkt man dann bei PEGIDA oder Beatrix von Storch. Die wollen ja die Kanzlerin gern im Gefängnis oder der Irrenanstalt sehen. Das ist natürlich überhaupt nicht okay für die mit leichtem Merkelfetisch ausgestattete Mehrheitsgesellschaft. Doch: die Kanzlerin darf auch öffentlich so angegangen werden. Interessieren tut sie das eh nicht und die Meinungsfreiheit deckt halt auch den Wunsch, den politischen Gegner ins Sanatorium zu schicken. Doch hier wird dann wieder die Abneigung groß. Das ist das dunkle Deutschland, weil ja der Rest das Licht gesehen hat. Im Schatten rotten sich dann die Zurückgelassenen und Enttäuschten zusammen und sind der Meinung die regierende Elite gehört ins Gefängnis, genauso wie die angeblich Mitte der Gesellschaft das mit Erdogan macht.

Doch eines aus der Liste führt den „Dunkeldeutschen“ mit dem „Lichtdeutschen“ zusammen: der Rundfunkbeitrag. Denn egal, wieviel Fernsehen sich der Einzelne da antut, wie sehr er am Montagabend Lügenpresse ruft und wie oft er indiskutabel schlechte Tatorte sieht, sie alle finden, dass sie nicht dafür bezahlen sollten. Schon gar nicht so viel!

Synthese

Und damit kommt die Frage zurück, die am Anfang stand. Schaut man sich die ganzen Listen und Erläuterungen an, fällt auf, dass Einigkeit eigentlich nur noch auftaucht, wenn es irgendwie eine viable Realitätskonstruktion gibt, die alle aufgrund der universellen Viabilität vereint. Wir können uns noch darauf einigen, dass die Sonne scheint und Bus zu spät kommt. Alles andere ist nur noch in Gruppen von Meinungen zu sehen und verhandelbar. Eine einheitliche Erzählung, was der Gesellschaft wichtig ist, wird immer schwieriger zu gestalten, dabei geben uns die ganzen Themen von oben durchaus einen Weg vor.

Lösungsmöglichkeiten

Denn es gibt eine Art, wie man die ganzen zersplitterten Gruppen wieder einfangen kann: in dem man versucht wieder in einen Dialog zu kommen. Dazu braucht es aber Stellen, die nicht aufgeladen sind, die nicht direkt und nicht medial sind. Und es braucht Energie, denn den anderen mit seiner anderen Meinung zu ertragen ist schwer, wenn das Welterlebnis uns immer wieder bestätigt, dass sich alles nur um uns dreht. Gelingt es nicht das zu Überwinden, bleibt irgendwann nur noch der Sonnenaufgang, der uns verbindet und selbst über dessen Bedeutung kann man streiten.