Bitte nicht beim Skill stehen bleiben…

Ich habe ja viel mit Bildung und so Kram zu tun, immerhin arbeite ich da ja, und eine Sache, die mir immer wieder auffällt, ist wie wenig eigentlich darauf geachtet wird, dass die jungen Menschen mit den ganzen tollen Kompetenzen und Fähigkeiten, die sie so von uns beigebracht (bekommen sollen) ((Glaubt das jemand ernsthaft, dass das so funktioniert? o.O)) eigentlich nichts anfangen können. Warum das so ist, versuche ich hier mal zu erklären.

Theorie und Praxis

Theorie und Praxis stehen sich im Verständnis vieler Menschen immer antagonistisch gegenüber. Theorie ist grundsätzlich so komisches Rumgedenke, dass in Schulen und Unis gemacht wird und da als Grundlage von hohem Sozialstatus gilt. ((Herr Bourdieu an die Infotheke bitte!)) Praxis hingegen ist das was in der Realtität wichtig ist. Der Theoretiker ist als schlauer als der Praktiker, der wiederum weiß, wie es wirklich geht.

Beide Vorstellungen sind natürlich totaler Käse. Theorie informiert Praxis und Praxis informiert Theorie. Nur im Wechselspiel zwischen beiden kann irgendetwas entstehen. Es hilft halt nicht, eine Schraube anziehen zu können, wenn ich nicht weiß, welchen Zweck diese Schraube im Großen und Ganzen so hat. Der Ingenieur ist halt ohne den Naturwissenschaftler, der Neues erforscht, gelangweilt und aufgeschmissen, wie der Naturwissenschaftler ohne den Ingenieur nicht forschen kann. Soziale Theorien sind nur so gut, wie sie empirischen Erkenntnissen entsprechen.

Theorie und Praxis befinden sich also nicht in einem Kampf, sondern eher in einem Tanz um die gemeinsamen Probleme.

Der Unterschied zwischen den Mitteln und den Inhalten

In den letzten Jahren hat im Bildungssystem ein steter Trend weg von Inhalten hin zu Skills stattgefunden. Die vielbeschworenen Kompetenzen haben da den Weg geebnet und die Konstruktion der „Wissenskompetenzen“ zeigt auch, wie kaputt der Kompetenzbegriff hier schon ist. Kompetenz sollte eigentlich bedeuten, dass eine Person Probleme eigenständig lösen kann und das auch bei ähnlichen Problemen, die diese Person nicht vorher mal eingeübt hat. Aussehen tut es dann so, dass immer mehr hochformalisierte Skills ohne große Freiheitsgrade gelehrt werden. Es ist halt einfacher eine Musterlösung auswendig lernen zu lassen, als Menschen die Unsicherheit zuzumuten einfach einen Text zu produzieren. Das ist natürlich ein komplett unnötiger Skill, aber selbst wenn wir sowas wie Integralrechnung nehmen, dann wird es auch nicht besser, wenn die Relevanz für die Lebenswelt fehlt. Nun werden die Mathematiker sagen, es geht hier um die Schulung des logischen Denkens und der Punkt ist in Ordnung, allerdings wäre das auch einfacher vermittelbar, wenn es da mal Inhalte gäbe. ((Das wird dann mit absolut peinlichen „lebensweltlichen“ Aufgaben probiert, die primär zeigen, dass die Menschen, die sie erstellt haben, in ihrer Lebenswelt keine Notwendigkeit für diese Inhalte haben.)) 

Skills sind also ohne Inhalte sinnlos. Trotzdem gibt es einen festen Glauben, dass die Fähigkeit eine komplexe Handlung auszuführen an sich schon eine Qualifikation bedeutet. Das erkennt man unter anderem in der Lehrerbildung. Ist die Person im Referendariat in der Lage einen Stundenablauf zusammenzulügen und eine Überschrift an die Tafel zu malen, kann sie auf Kinder losgelassen werden. Menschliche Eignung spielt eine eher untergeordnete Rolle, wenn nicht gerade Unterordnung in eine Hierarchie gemeint ist. Dass dann am Ende irgendwie wichtig ist, was da so erzählt wird, dass inhaltliche Kompetenz und vor allem auch intellektuelle Kompetenz eine immanente Rolle spielen, wird halt gerne vergessen, wenn der Stundenablauf gut aussieht.

Der wahre Skill ist halt genau da, wo ihn keiner vermutet und informiert von Inhalten, die auch gewusst und verstanden sein wollen.

In die Zukunft…

Nachdem ich öfter von jungen Menschen gefragt werde, was sie denn mit ihrer Zukunft anfangen sollen, möchte ich meine Perspektive geben. ((Achtung: ich bin so hoch privilegiert was das alles angeht, dass es total ironisch ist, dass ich das tue. Es ist mir bekannt, dass ich lebenszeitverbeamtet bin und mir überhaupt keine Mühe geben muss… entsprechende Einlassungen darf man sich klemmen.)) Zum einen ist formale Bildung heutzutage nur noch wertvoll, weil sie Zettel generiert, die Sozialstatus bedeuten. Das ist großflächig ein Cargo Cult der Moderne: Ich habe einen Zettel und kann auf einmal was. Auf dem Weg zu dem Zettel kann Bildung stattfinden, aber das ist nicht verpflichtend und auch nicht so häufig wie gedacht wird. Deswegen gibt es immer mehr Bereiche in denen formaler Bildung misstraut wird und in der die formularische Ausbildung sogar kontraproduktiv sind. Das ist vor allem in kreativen und künstlerischen Berufen der Fall. Die haben einen handwerklichen Anteil, aber die wahre Bildung ist das, was die Menschen beim Ausprobieren des Handwerks an Erfahrungen sammeln. Das ist auch ein Kontrapunkt zum immer verschulteren Hochschulwesen, das Ausbildungen, in denen Dinge getan werden, durch Studiengänge ersetzt, in denen hauptsächlich Dinge gelernt werden. Dazu kommt, dass formale Ausbildungen den Blick unheimlich einschränken. Oder wie es Neil Gaiman in dieser Commencement Speech so schön sagt:

First of all: When you start out on a career in the arts you have no idea what you are doing.

This is great. People who know what they are doing know the rules, and know what is possible and impossible. You do not. And you should not. The rules on what is possible and impossible in the arts were made by people who had not tested the bounds of the possible by going beyond them. And you can.

If you don’t know it’s impossible it’s easier to do. And because nobody’s done it before, they haven’t made up rules to stop anyone doing that again, yet.

Oder wie ich als Lehrer gerne sage: „Wenn wir SchülerInnen nicht sagen, dass etwas zu schwer ist, dann merken die das nicht und tun es einfach.“ Formale Bildung tut das aber die ganze Zeit und die Reaktion der Schülerschaft auf Freiheitsgrade in Aufgaben ist oft die von Angst und Unsicherheit und selten die von Freude. 

Das Unterscheidungsmerkmal für gute Arbeit wird also immer mehr der Inhalt und die Anwendung der Skills, die es zweifelsohne braucht. Und das ist auf jedem Level wahr… und manchmal sogar wahrer für die „kleinen“ Jobs wie Handwerker als für die tollen akademischen Berufe, die sehr oft nur glorifizierte Bürojobs sind.

Es ist halt wichtig, nicht zu glauben, dass irgendetwas gut zu können, ein Garant für Erfolg oder Anerkennung oder auch nur ein Wert ist. Das wird alles erst wertvoll, wenn es mit Inhalten, Menschlichkeit und Authentizität gefüllt wird. Also bitte nicht beim Skill stehen bleiben… 

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