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Einfach mal die Fresse halten und machen…

Nach dem letzten, eher depressiven Beitrag, kommt hier jetzt der Krawall zurück. Es wird nämlich mal Zeit sich darüber zu unterhalten, warum das ganze soziale Gerechtigkeitsgelaber vielleicht doch nicht so gut ist, keinen Fortschritt bringt und am Ende nur den Konservativen in die Hand spielt. Wenn ich das aber tue, dann muss ich ja auch erzählen, wie es anders geht.

Hört doch mal auf zu quatschen.

Eine Weisheit der Soziologie ist, dass wenn über etwas geredet wird, es von den Kräften der Gesellschaft verarbeitet wird. Das ist dann das, was in Politik endet. Die landläufige Idee, wie Gesellschaftsänderung vonstatten geht, ist:

  1. Thema aufbringen
  2. Agenda Setting
  3. Politischer Diskurs
  4. Bessere Welt
  5. Rinse Repeat

Jetzt ist die Bevölkerung überaltert und das funktioniert nicht mehr, weil die Leute die Mehrheit im Diskurs haben, die gerne die Welt so hätten, wie es früher war. Dazu kommt, dass die einzelnen Teile der Gesellschaft eigentlich gar nicht mehr miteinander reden und wenn dann nur durch Vorwürfe und in schreiendem Ton. Gesellschaftliche Probleme werden als öffentlich nur noch als Spektakel behandelt und nicht mehr diskutiert, weil soundso jede Seite glaubt, dass sie recht hat und am Ende die alte konservative Mehrheit mit dem Stillstand gewinnt.

Die ganzen Versuche neue Ideen auf die Agenda zu setzen, in dem darüber geredet wird, sind also sehr kontraproduktiv. Zum einen reißen sie nur noch mehr Nebenschauplätze auf, zum anderen ist nur noch der Konflikt interessant nicht der Inhalt. Hinzu kommt, dass die konservative alte Mehrheitsgesellschaft das Thema dann in Ruhe versanden oder konservativ umdeuten kann. Das schafft wahlweise Perversionen des Fortschritts (Mindestlohn, Rentesystem) oder einfache Feindbilder („Feminazi“), die dann halt auch gerne wieder verschwinden. Gesellschaftlicher Fortschritt findet also nicht mehr statt.

Deswegen wäre es vielleicht mal gut, weniger zu quatschen, weniger anzuklagen, weniger zu schreien. Wenn dann sollte gefragt, erklärt und sich ausgetauscht werden.

Wer macht hat Recht!

Und das fragen, erklären und austauschen funktioniert viel besser, wenn die Leute einfach machen. Die normative Kraft des Faktischen gilt in postfaktischen Zeiten umso mehr. Wird eine Realität geschaffen, dann kann man sich darüber unterhalten und vor allem in dieser leben. Das bedeutet also, dass sich das Schaffen einer eigenen Realität gut dazu eigenen eine zu haben, in der man leben will. Das führt dann schon zum gesellschaftlichen Diskurs. Dieser wird aber nicht unter der Annahme geführt, dass alternative Lebensformen und Realitäten Spinnereien einer Minderheit sind, sondern mit den existierenden Phänomenen einer pluralen Gesellschaft. Will heiße, wenn eine Familie aus mehreren Elternteilen (2+) bestehen möchte, dann sollte sie das. Legal lässt sich das regeln. Wenn dann jemand fragt, wie das funktioniert, dann erzählt und erklären die Menschen das, die dieses Modell leben. Dabei müssen sie nicht die Person gegenüber überzeugen und auch keine große gesellschaftliche Debatte vom Zaun brechen. Die Gesellschaft ändert sich hier schon durch die neuen Lebensformen, die einfach gelebt werden.

Wer macht hat also erstmal Recht und muss nur erkennen, dass es keinen Grund gibt sich für das eigene Leben und die eigene Realitätsgestaltung rechtfertigen zu müssen, genauso wie es keinen Grund gibt, andere für deren Version anzugehen. Am Ende gelingt so ein Zusammenleben unheimlicher vieler verschiedener Menschen. Es muss zwar noch ein Rechtssystem, das die allgemeinen Regeln des Zusammenlebens durchsetzt, doch je mehr Dinge als alltäglich gelebt werden desto weniger können diese Regeln in alternative Lebensmodelle hineinpfuschen. Gelebter Pluralismus führt am ehesten dazu, dass sich sinnlose soziale Schranken auflösen.

Es ist also sinnvoller, zu versuchen ein Leben zu leben, dass einem selbst gefällt und erfüllt, als sich die ganze Zeit hinzustellen und anklagend zu versuchen die Welt von oben nach unten besser zu machen. Akzeptanz von alternativen Lebensvorstellungen führt zu gesellschaftlichem Fortschritt, nicht das heulende Einklagen diffuser Rechte, das immer in einem sinnlosen Vergleich der Privilegien endet. Anstatt Privilegien mit gesetzlicher Gewalt zu minimieren, hilft es mehr Menschen die Möglichkeit und Einstellung zu geben, dass sie sich Privilegien anderer nehmen können, wenn sie vergleichbares nur anders tun. Neid und Einklagen sind kontraproduktiv, sich selbst einen Platz zu schaffen nicht. Wenn das zum Standard unserer Sicht auf Pluralismus wird, dann wird es am Ende auch zu einer Politik führen, die Möglichkeitsräume öffnen muss, anstatt sich in Konflikten zu schließen.

Update: Die Vrouwelin hat sich in einem eigenen Artikel hierzu geäußert und eine wichtige Dimension hinzugefügt: Solidarität und Empathie. Ich möchte mich bedanken und ihr ausdrücklich zustimmen. Ich gehe implizit davon aus, dass Empathie und die daraus folgende Solidarität in jedem Menschen angelegt sind. Das ist vielleicht zu idealistisch gedacht, aber dann eine Aufgabe für unser Bildungssystem.

Update 2: Der Soziobloge hat sich mit einem zweiten Beitrag gemeldet, der vielleicht den wichtigsten Punkt aufmacht: mal entspannen im Diskurs. Ich schließe mich auch hier vollständig an und bedanke mich für den Beitrag.

Am Ende des Alphabets – Die Generation Z, die Zukunft und warum sie nicht kommt.

Ich habe Ferien und deswegen Zeit für längliche Artikel. Im ganzen Input, der gerade so über mich drüber fließt, und auch in der Betrachtung meiner Seminarfahrt nach Berlin, will ich mal darüber reden, was wir am Horizont sehen, was wir wissen, das sich bald ändert und warum die aktuelle Generation an Studierenden und Schüler*innen wahrscheinlich an dieser Zukunft scheitern wird.

Die Zukunft der Wirtschaft

Die Automatisierung kommt, wenn sie nicht schon da gewesen ist. Als nächstes sind die ersten white collar jobs dran, die wir gegen neuronale Netze ersetzen. Je rationalistischer und sachbezogener ein Beruf ist, desto weniger braucht man dafür noch Menschen. Je kreativer und sozialer ein Beruf ist, desto mehr braucht man dafür Menschen, doch bezahlt wird dafür umso weniger. Die Religion des Rationalismus frisst sich langsam selbst. aber immerhin macht es Spaß dabei zuzusehen.

Die Zukunft der Gesellschaft

Gleichzeitig fragmentiert sich die soziale Realität immer mehr in kleine Stücke, die durch Algorithmen mit immer den gleichen Informationen versorgt werden und sich damit von einer geteilten medial vermittelten Wirklichkeit immer mehr entfernen. Die Gesellschaft zerfällt also in kleine Teile, die alle nebeneinander stehen, aber nicht mehr mit einer gemeinsamen Realitätserzählung verbunden werden. Jeder lebt in seiner Blase, die schön bequem und gleichzeitig unwirklich ist.

Die Zukunft der Politik

Und damit wird Politik zum Selbstläufer, weil es keinen Sinn mehr macht die einzelnen granularen Gesellschaftsbrocken noch zu fragen. Also wird einfach nach Bequemlichkeit regiert. Solange die meisten Leute keine offensichtlichen Nachteile haben, ist alles okay. Es geht nur noch um Zufriedenheit als Wert, genauso wie in den sozialen Netzwerken. Politik versucht aus der Wahrnehmung zu verschwinden und nur noch Wohlgefühl hervorzurufen. Dabei geht die Idee der Gesellschaftsgestaltung komplett unter. Aber dann, eine granulare Gesellschaft ist auch nicht mehr zu gestalten.

Die Zukunft der Bildung

Setzt dem allen nichts entgegen, sondern forciert es. Es werden einfache formelhafte Lösungen, gesellschaftliche Anpassung und berechenbares Verhalten belohnt. Das Ziel der Bildung wurde für Selektion und Qualifikation aufgegeben und an den Hochschulen wird noch mehr Schule betrieben als an den Schulen. Die Kreativität und Freiheit, die Innovation möglich macht, wird unter Strukturen erstickt, anstatt Lernen freier zu machen, wird versucht es durch Organisation zu zähmen. Die Bildungssysteme sollen Bildung produzieren, aber dieser Gedanke allein macht Bildung unmöglich.

Die Zukunft des Planeten

Es wird über viele Dinge nicht ausreichend diskutiert, weil die überalternden Gesellschaften des Westens kein Interesse mehr an Zukunftsgestaltung haben. Konservativismus erstickt die sozialen, diplomatischen und ökologischen Diskussionen, die wir führen müssten.

Generation Z

Und in diesem Umfeld wächst eine junge Generation auf, der eingeredet wird, dass sie in den jetzt schon versagenden Regeln nur Erfolg haben wird, wenn sie diesen folgt. Dabei wird sie wie keine Generation zuvor mit falschen Aufstiegsversprechen gelockt und mit Existenzverlust bedroht. Uniformität und Anpassung an ein System, das jetzt schon ungeeignet ist Menschen auf die Zukunft vorzubereiten, wird als Allheilmittel gesehen und ist dabei nur ein Cargo Cult, dem sinnlos in der Hoffnung hinterhergerannt wird, dass man das alles noch gesund beten kann. Die Generation Z steckt zwischen Anforderungsüberfrachtung, Zukunftsangst und sinnfreien Ritualen fest und hat Angst sich zu bewegen, weil man da etwas falsch machen kann. Also wird Eskapismus zur größten Aufgabe, lieber noch mal schnell auf Snapchat, als in eine Welt blicken, die einem Angst macht. Irgendwo zwischen Duldungsstarre und Disengagiertheit versuchen den letzten sicheren Job zu kriegen, damit die Eltern nicht meckern.

Noch nie waren Jugendliche so angepasst wie heute, noch nie hatten Jugendliche so viel Angst sich selbst zu verwirklichen, noch nie haben die Alten so gut dafür gesorgt, dass sich Fortschritt nicht mehr durchsetzt und noch nie haben es junge Leute so bereitwillig akzeptiert.

In einem neuen Biedermeier werden Instagramfotos getauscht und sich selbst beweihräuchert, während die Welt um einen herum durch das Missmanagement der Großelterngeneration verrottet. Und während die Generation Y sich noch darüber streitet, welche Soja-Latte jetzt bei gleichzeitiger Umweltfreundlichkeit besser schmeckt und wie sie am besten gegendert wird, ist das der nächsten Generation schon egal, weil die nur noch hoffen kann, dass sie einen Arbeitsplatz bekommt, an dem sie nicht offensichtlich ausgebeutet wird.

Unsere Moderne ist nicht so modern…

Ich habe gerade auf piqd einen Anreißer gelesen, in dem eine Guardian Autorin mit dieser Perle zitiert wird:

We are finally beginning to recognise that sexuality is neither a binary nor fixed. That love, attraction, identity, attachment and sexuality are more layered and interesting than they have been allowed to be represented in public space until now and that as their complexity is opened to us the crudity of realising you were always gay or always straight is for many people a nonsense.

Dazu fiel mir dann mal wieder auf, wie selbstbesoffen diese Diskussion geführt wird. Das hat zwei Gründe:

Zum einen wird davon ausgegangen, dass irgendwelche avantgardistischen Diskussionen in irgendwelchen Zeitungen ((Oder solchen Blogs hier…)) irgendeine Relevanz für einen Großteil der Welt haben. Das trifft nicht einmal für die Gesellschaften zu aus denen die Beiträge stammen. Im abgehängten Viertel irgendeiner Stadt interessiert es niemanden, dass wir jetzt Sexualität und Partnerschaft so komplex sehen, wie sie sind. Dort wird das nur gelebt. Teilweise in aller Privatesse, aber auch öffentlich. Geredet wird darüber nur in Medien, die jetzt mitbekommen, dass der Zeitgeist gegen die, von ihnen produzierten, Normalitäten weht. Da müssen jetzt Sachen öffentlich diskutiert werden, die soundso stattfinden, und deren mangelnde Öffentlichkeit hauptsächlich mit den selben Gatekeepern zu tun hat, die das jetzt als Thema entdecken.

Zum anderen ist das doch gar keine neue Erkenntnis. Sie wurde nur bisher nicht von gesellschaftlich als relevant angesehenen Medien ausgesprochen. Jedenfalls seit ungefähr 200 Jahren nicht mehr. Vorher war es eher so normal, weil die sozialen Kreise kleiner waren und damit auch permissiver, wenn es darum ging Abweichungen in ihrem Inneren zu erdulden. Diese Permissivität würde irgendwann mal gegen die Anonymität der Stadt ersetzt, aber dass Liebe und Sexualität komplex sind, ist nur eine Neuigkeit für die Moderne, wie sie medial verbreitet wird. Und diese orientiert sich in ihrer Modernitätserzählung spätestens am 19. Jahrhundert. Nur wurde da schon einiges an gesellschaftlichem Liberalismus durch Konventionen ersetzt, die dann später ernst genommen wurden. Was vorher war, können wir nur an wenigen Artefakten nachweisen, die von engen Bevölkerungsschichten mit konkreten Absichten erstellt wurden. Dementsprechend ist es vielleicht gewagt davon zu reden, dass in der Öffentlichkeit Sexualität und Geschlecht noch nie so offen verhandelt wurden. Wir wissen nicht, wie das so vor 1000 Jahren war und damit ist die Aussage doch etwas gewagt.

Man sollte sich vielleicht weniger auf die eigene Modernität etwas einbilden als sich die Frage zu stellen, warum Dinge für unsere Gesellschaft außergewöhnlich sind, die in anderen Kulturkreisen und Zeiten vielleicht schon total normal waren, bevor wir sie kolonialistisch wegmcdonaldisiert haben.

Doing teacher… wrong…

Aus den Gender Studies gibt es die Idee des „doing gender“ , die sagt, dass Geschlecht eigentlich eine kulturelle und sozial konstruierte Funktion rituellen Handelns ist. Geschlecht wird also darüber konstruiert, dass man bestimmte Handlungen durchführt. Weil sich die Pädagogik nicht entblödet jedem Ansatz hinterherzurennen, gibt es jetzt „doing teacher“, also die Konstruktion des Lehrers durch das Lehrerhandeln. Der Witz ist, da ist mehr dran als man so denkt. Folgt mir mal in den Lehreralltag und die verschiedenen Arten, wie wir Lehrer und Lehrerinnen falsch Lehrer „do-en“.

Die Art, wie Lehrkräfte sich gegenüber Schülerinnen und Schülern äußern, sind grundlegend für deren Erfolg und zwar weniger auf einer inhaltlichen, als auf einer pädagogisch-konstruktivistischen Ebene. Geht die Lehrkraft davon aus, dass alle Schülerinnen und Schüler fähig und intelligent sind, ist das einzige, was deren Erfolg aufhält Phänomene, die als Verständnis- oder Übungsprobleme wahrgenommen werden können. Das hat natürlich nicht immer Erfolg, aber es ist weitaus besser als die Prämisse, dass die Schülerschaft schlicht zu blöde ist. Denn dann werden weder Herausforderungen gestellt noch eine positive Einstellung zu eigenen Handlungsfähigkeit und Wirksamkeit an die Schülerinnen und Schüler vermittelt.

Der schlimmste Fall ist derjenige, in dem die Lehrkraft bewusst negative Selbstbilder der Schülerinnen und Schüler verstärkt, weil sie selbst einem falschen Schülerbild aufsitzt. Dieses muss irgendwie immer hinterfragt werden, sonst drückt die Lehrkraft auf Knöpfe, die Schülerinnen und Schüler behindern. Das hat natürlich seine Grenzen zum einen muss es ein bewusstes Verhalten sein, zum anderen sind Interaktionen wahnsinnig vielfältig. Selbst wenn man als Lehrkraft ein positives Weltbild hat aus dem gehandelt wird, heißt das nicht, dass die Schülerschaft das glaubt.

Noch besser wird es, wenn besagte Schülerschaft Erwartungen an das Lehrerverhalten hat, die nichts mit formalen und didaktischen Vorraussetzungen zu tun haben, sondern mit erlernten Bildern. Kommt dann eine Lehrkraft um die Ecke, die sich schlicht nicht an „die Regeln“ hält, die in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler festgebacken sind, dann kommt es gerne mal zur Revolte. ((Jap, das ist ein Hobby von mir. Bildung kann nur entstehen, wenn Regeln herausgefordert werden. Emanzipation fängt beim Hinterfragen der eigenen Bilder und der Erfahrung statt, dass die Welt komplexer ist als gedacht.))

Das Spannende hierbei ist, dass es meist um kommunikative Probleme geht. Es wird angenommen, dass Lehrerinnen und Lehrer auf eine bestimmte Art funktionieren, dass sie die Regeln kenne und die Lehrer deswegen ausmaneuverieren können, und dass Leistung nicht der einzige Weg sei, gute Noten zu bekommen. Aus der Sicht dieser Schülerinnen und Schüler do-en Lehrkräfte teacher wrong, weil sie sich nicht verhalten, wie es aus der Sicht der Schülerschaft im Kodex zwischen Lehrern und Schülern steht. Das ist natürlich eine Katastrophe. Also für die Schülerschaft… weil die Regeln nicht mehr gelten und Schule ihr immer vermittelt hat, dass Regeln heilig sind.

Doing teacher existiert natürlich und kann katastrophale Effekte auf Schülerinnen und Schüler haben, wenn dieses Handeln auf falschen Prämissen auf Schüler- wie auf Lehrerseite beruht.

Über Selbstwirksamkeit…

Ich habe die letzten Tage mit verschiedenen Menschen über die Zukunft und den Sinn im Leben geredet. Dabei drehte es sich um das Konzept des Ikigai. Bei dieser Technik stellt man sich vier Fragen:

  • Was liebst du?
  • Was kannst du gut?
  • Wofür kannst du bezahlt werden?
  • Was braucht die Gesellschaft?

Nun möchte ich nicht aufschreiben, wie man damit den Sinn des Lebens findet. Da ist Google euer Freund. Die Fragen sollen helfen, herauszufinden, was einen antreibt, womit man wirtschaftlichen Erfolg haben kann und welche Fähigkeiten man hat. Die letzte Frage zeigt die japanische Herkunft des Prinzips und stellt die Frage nach der gesellschaftlichen Wirkung. Meine beiden Gesprächpartner hatten mit dieser Frage das größte Problem und beide aus ähnlichen Gründen. Wir sind kulturell darauf getrimmt unsere Selbstwirksamkeit in dieser Welt und diese Dimension unserer Existenz zu unterschätzen. Das ist tragisch, doch weil ich einen Bildungsauftrag habe, erkläre ich erstmal kurz, wo es herkommt.

Exkurs: Prädestination und das Lied der eigenen Unfähigkeit

Das Christentum beruft sich auf die Aussagen eines Zimmermanns, der vor ungefähr 2000 Jahren in Vorderasien gewohnt hat. Das, was dieser laut verschiedener schriftlicher Überlieferungen so erzählt hat, war eine Menschenbild, das darauf beruhte Menschen als das zu akzeptieren, wer sie waren und jeder Person einen Wert zuzugestehen, der weder vehandelbar noch von sozialem Status abhängig ist. Ethisch großes Tennis, dann folgten 2000 Jahre Menschheit und die Verwässerung dieser Idee durch Hierarchie, Macht und zu kurze Penisse. ((Das ist bei der Kirche kein Sexismus…))

Das wurde so schlimm, bis am Ende des 15. Jahrhunderts Leute das System rebooten wollten. Einer davon war Luther, ein anderer hieß Calvin. Calvin hatte ne Superidee: Was, wenn Gott schon vor unserer Geburt festlegt, wieviel wir in seiner Gunst stehen oder auch: wieviel Erfolg wir im Leben haben. Der Fachbegriff ist Prädestination. Unsere Bestimmung ist von Gott vorher festgelegt. Doch wir können herausfinden, ob Gott es gut mit uns meint

Daraus wurde dann in den nächsten 200-300 Jahren das, was Max Weber als protestantische Ethik beschreibt. Die Idee, dass nur der eigene Erfolg einen zu einem guten Menschen macht, ist so wirkmächtig geworden, dass Erfolg und Leistung zu den nahezu einzigen Dimensionen des Lebens geworden sind, die Relevanz zu besitzen scheinen. Dabei gibt es weder für Erfolg noch Leistung eines Menschen eine Messbarkeit. Genau dieser Umstand wird seitdem dazu genutzt Menschen anzutreiben, sich selbst auszubeuten. Das geschieht in dem Erfolg und Leistung schlicht immer als mehr als was du gerade tust operationalisiert wird.

Diese Idee wird in alle Menschen von verschiedenen Akteuren hineinsozialisiert. Ganz vorne stehen hierbei die Schulen und die Wirtschaft. Wichtig ist auch, dass Minderleistung immer als persönliches Defizit und nie als Chance oder naturgegeben gesehen werden kann. Um es salopp auszudrücken: wir werden alle dazu erzogen uns selbst ein Lied unserer eigenen Unfähigkeit vorzusingen und danach zu streben ein besserer Mensch zu werden, in dem wir uns selbst ausbeuten.

Selbstwirksamkeit erkennen und entwickeln

Wie alle sozialen Konstrukte braucht auch dieses Viabilität, wir müssen also die Wirklichkeit dahingehend prüfen, ob das, was wir uns erzählen damit übereinstimmt. Schauen wir doch erst einmal auf die Auswirkungen dieses Konstruktes:

Die Europäische Organisation für Sicherheit und Gesundheit sagt, dass es zwar keine europäischen Zahlen für Burnout gibt, nennt aber Werte von 2-10% der Bevölkerung, die darunter leiden. Die Anzahl der Menschen, die unter arbeitsbegründetem Stress leiden liegt bei 20%. Das kostet uns 20 Milliarden Euro jedes Jahr.

Die Unzufriedenheit mit dem beruflichen Erfolg und ähnliche Phänomene führen zu Depressionen, die 25% der Ausfalltage pro Jahr verursachen.

Soweit, so traurig… doch das ist noch nicht alles. Der Umgang mit Menschen, die sich selbst als unfähig wahrnehmen ist auch pädagogisch relevant. In einem Schulsystem, das rein auf Performance abgestellt ist, haben gerade misserfolgsmotivierte Personen ein Problem, da ihnen das Versagen auf der Sachebene immer ein Versagen auf der menschlichen Ebene attestiert. Hier müssen dann Lehrkräfte und pädagogisches Unterstützungspersonal unheimlich viel Arbeit leisten, um dieses Problem zu behandeln.

Und im Kern hiervon steht die große Frage: was braucht die Welt? Deren Antwort aber grundlegend immer: „DICH!“ lautet. Die Tatsache, dass so viele Menschen nicht an ihrer Wirksamkeit für die Welt glauben, ist ein Ergebnis dessen, dass die tägliche soziale Arbeit, die sie an ihrer Umwelt verrichten, genauso wenig gewürdigt wird, wie diese Menschen angeleitet werden zu erkennen, dass ihr Beitrag zur Gesellschaft immer mehr als das Verkaufen der eigenen Arbeitskraft ist. Ihre Selbstwirksamkeit in der Welt zu erkennen und entgegen ihrer Sozialisation anzunehmen ist eine der wichtigsten Aufgaben, die wir als Gesellschaft zu bewältigen haben. Es muss davon weggehen, dass der Mensch nur eine wirtschaftliche Relevanz und hin zu einer holistischen Betrachtung einer Person. Dazu muss es Ziel von Bildung und Erziehung sein, dass jede Person ihre Selbstwirksamkeit in dieser Welt aktiv erlebt und richtig einschätzt. Viel zu oft wird geglaubt, dass eine Person zu wenig für die Welt tut, dass das Menschenmögliche nicht genug ist, dass ich nicht genug bin, dass mein Beitrag zu wenig ist.

Diese Perspektive ist zutiefst schädlich für diejenigen, die sie einnehmen und für eine Welt, die eigentlich hofft, dass diese Menschen ihr Bestes geben. Diese Erwartung muss beinhalten, dass klar ist, dass diese Leistung ihre Grenzen im Möglichen hat und nur vollkommen ausgeschöpft werden kann, wenn sich die Person ihrer Selbstwirksamkeit, deren Grenzen, und der entsprechenden Verantwortung gegenüber sich und der Welt bewusst ist.

HCH018 Nach Mecklenburg-Vorpommern

In dieser eher denkerischen Folge gibt es den Blick aus der Distanz auf die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Irgendwo zwischen Dystopie und Resignation erwächst auch hier wieder die Hoffnung im Kleinen.

Als kleine Anregung sei noch auf This is Water von David Foster Wallace hingewiesen, das einen ähnlichen Gedanken, wie ich ihn formuliere besser aufgreift.

Literaturdidaktik braucht kein Big Data

Mir kam vorhin dieser Artikel unter die Nase und ich möchte mich da mal ein bisschen zu äußern. Er ist insofern ein gutes Beispiel, weil er mehrere Dinge zeigt, die ich immer wieder im Bereich der Didaktiken beobachte. Zum einen wird hier einem Trend sinnlos hintergerannt, der dann strukturelle Probleme als Allheilmittel der Didaktik lösen soll. Zum anderen beruhen die Ideen, wie immer auf nichtüberprüften Prämissen, die über die Welt, das Thema und die Schülerschaft gesetzt werden. Also, eigentlich alles wie immer, aber das hält mich jetzt nicht davon ab, das einmal abzuhandeln. ich hab ja Ferien und so. ((Um euren Hass auszudrücken, klickt einfach auf den grünen Knopf oben im Artikel…))

Distant Reading ist kein Reading

Okay. Es geht in dem Artikel um „distant reading“, das allein schon für seinen Namen einen Preis verdient. Es ist nämlich gar nicht mehr „reading“. ((Vor allem: der Text beschäftigt sich mit dem Deutschunterricht und nicht mit Englisch.)) Also, „close reading“ heißt anscheinend das, was man ansonsten so im Deutschunterricht macht. Das ist diese sinnlose Zerlegen von literarischen Texten unter der Lupe des angeblich Wissenden. Es ignoriert den Text als kulturelles Artefakt genauso, wie den Rezipienten und nimmt damit eigentlich nur die Interpretation ernst. Die kommt dann in der Schule meist noch gefühlt von oben und damit ist das alles eher unglücklich. „Distant reading“ macht das anders. Es ignoriert sogar die Interpretation des Textes und schmeißt sich an der Hals der Big Data. Damit wird ist das Name dann auch falsch. Es ist gar nicht mehr lesen sondern computergestütztes Wörterzählen. Das hat durchaus seinen Sinn. Die Computerlinguistik, Korpuslinguistik und ähnliche Disziplinen tun sowas schon lange und haben ihre Berechtigung, da sprachliche Strukturen sich in Verfahren mit großen Datenmengen zeigen können. Doch hier geht es jetzt um dieselben Verfahren als Methode der literarischen Analyse. „Distant reading“ ist also gar kein „reading“ mehr, sondern wir schmeißen einen Text in einen Computer, lassen diesen Wörter zählen und mache Wortwolken und ähnliches. Daraus soll dann eine literarische Analyse folgen und das nachdem die Literatur weggelassen wurde.

Die Idee geht auf einen amerikanischen Literaturwissenschaftler Franco Moretti zurück, der mit Big Data herausfinden will, welche Gefühle mit verschiedenen Londoner Stadtteilen in Verbindung gebracht werden ((Pro-Tip: das kann man nach der Vorlesung zur sozialen Mobilität aus dem Wikipediaartikel ableiten… Wahlweise: einfach nur Dickens lesen.)) oder ein Netzwerk der Figuren in Hamlet. ((Das ist übrigens eine Aufgabe, die Schüler in der Schule regelmäßig aufbekommen.)) Die Frage, die sich hier für mich anschliesst und die nicht beantwortet wird ist: „Und dann?“ Ähnlich wie mit dem Boom der Neurowissenschaften, wird hier auf Teufel komm raus Big Data gemacht ohne sich die Frage zu stellen, was denn dabei rauskommen soll. Ist das mit sprachlichen Strukturen in Texten sinnvoll, stellt sich für die Literaturanalyse die Frage, wie etwas, das eigentlich hermetisch ist, durch das Anhäufen von Daten besser gehen soll.

Literatur ist wie ein Glas Wein

Der Literaturwissenschaft wird zurecht vorgeworfen, dass sie von Alchemie nicht zu unterscheiden ist. Alles ist Text, alles ist hermetisch, alles ist möglich, solange es argumentiert werden kann. Der Text trägt die Möglichkeiten aller Blickwinkel in sich. Das scheint beliebig und genau darin liegt die Stärke der Literaturwissenschaft. Ähnlich wie bei der Philosophie geht es hier um die Frage des Menschlichen, im Text, in der Rezeption wie auch im Leser. Die Leitfragen sollten sein: was sagt uns dieser Text über die Welt aus der er stammt, die Welt hinter den Augen des Autors und die Welt hinter unseren Augen. Das sind alles Fragen, die nur uneindeutig beantwortbar sind und genau das ist das Spannende. Das lässt sich vielleicht am besten mit dem Streit der Alchemisten mit den Chemikern vergleichen, der in folgendem einfachen Gleichnis zusammengeführt werden kann:

Wir können ein Glas Wein aufteilen und in seine Bestandteile zerlegen, doch wenn man diese wieder zusammenfügt, dann ist das nicht derselbe Wein. 

Ich will nicht in den Streit einsteigen, aber die Idee dahinter ist, dass es jenseits aller rationaler Analyse auch etwas gibt, dass eben nicht durch Naturwissenschaft erklärbar ist. Das ist eben genau das, was in unserem Kopf abgeht und was Menschen besonders macht: die Welten hinter den Augen. das ist der Fehler, den „distant reading“ macht. Es versucht mit Daten an ein Phänomen heranzugehen, das sich eben nicht mit Daten erfassen lässt. Die Häufigkeit eines Wortes in einem Text lässt eben keine Rückschlüsse darauf zu, was der Text mit einem macht und nur weil ich weiß, welche Gefühle Autoren mit Londoner Stadtteilen verbunden haben, erschließt sich mir eben keine weitere Bedeutung. Der naturalistische Fehlschluss, dass nur Messbares die Welt bestimmen soll, der Fehlschluss auf dem das Silicon Valley zu Fußen scheint, ist hier sehr gut sichtbar. Literaturanalyse ist eben mehr als Wörter zählen. ((Sprachwissenschaft übrigens auch!))

Literaturdidaktik braucht vieles, aber kein Big Data

Eine grundlegende Erkenntnis des Literaturunterrichts ist, dass sich die Schülerinnen und Schüler wenig mit Literatur auseinandersetzen möchten. Wer kann es ihnen verübeln? Für den digital Native ist toter Baum total unsexy. Verschwurbelte und lange (mehr als 1000 Zeichen!) Texte sind ungewohnt und die Sprache vergangener Zeiten unverständlich. Das sind alles Hürden, die tatsächlich überwunden werden müssen. Die Schülerinnen und Schüler per Computer Wörter zählen lassen und dann Hypothesen bilden hat mit Literatur aber nichts zu tun. Wie auch die Interpretationshechelei des restlichen Literaturunterrichts. Beide vergessen, dass Literatur etwas in unserem Kopf anstellt, etwas mit uns tut. Jede sprachliche Botschaft hat mehrere Ebenen, die im Sendenden und Rezipierenden angelegt sind. Diese sollten der Mittelpunkt von Literaturunterricht sein, genauso wie die Beschäftigung mit der Frage als geschichtliche Artefakte, denen nicht vertraut werden kann. Und jetzt nochmal zum mitklöppeln: Das sind alles Dinge für die man ein menschliches Gehirn braucht, und keine riesigen Datenmengen. Diese können bei den Fragen, die Literatur an uns stellt und an die Welt nicht helfen. Diese Fragen sind aber die Legitimation von Literaturunterricht.

Wenn moderne Medien benutzt werden um sich mit Literatur zu beschäftigen, dann sollte man doch vielleicht mal mit Big Data aufhören und produktiv werden: schreiben, vertonen und aufnehmen sind doch viel besser um sich mit den Welten hinter unseren Augen auseinanderzusetzen als zu versuchen alles über das Wenden von Datenhaufen zu gestalten. Literatur kann Wunder zeigen, die man mit Daten niemals sehen kann.

Aus der Zeitung – die Generation Z liegt auf der Gamescom rum…

„Pointiert gesagt: Man wurde – nach der „Prosumenten„-Phase des Web 2.0 – mit Haut und Haar wieder zum Konsumenten. Kann das ohne soziale Folgen bleiben? Schon heute halten es viele Jüngere ja für weniger absurd, große Umwege auf sich zu nehmen, um Pokémons einzusammeln, als sich etwa gegen den Zerfall Europas zu engagieren. Mit dem Übergang in die neue Epoche der Virtual-Reality-Spiele könnte der Abstand zur Lebenswirklichkeit noch einmal zunehmen. Innere Emigration darf man es vielleicht nicht nennen, wenn ein ganzes Subsystem der Gesellschaft diesen so viel logischer als die Wirklichkeit strukturierten Raum kollektiv aufsucht. Weltflucht aber allemal.“

Aus: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/auf-der-gamescom-in-koeln-herrscht-die-virtuelle-realitaet-14396612-p3.html

Oder um es anders zu sagen: die Generation Y hinterfragt gerade die Welt, während die Generation Z die Gegenbewegung ausführt und sich in eine konservative Duldungsstarre ergibt in der sie hofft, dass die schöne alte Welt, die ihre Vorgänger aus der Erkenntnis der dauerhaften Veränderung hinterfragen, wieder zurückkommt und sie auch alle tolle 9-5 Jobs mit Einfamilienhaus und Garten haben können.

Diesen Traum hat aber die Generation der Babyboomer mit ihrem Raubbau an der Welt zerstört und jetzt deren Verhalten zu simulieren dreht die Uhr nicht zurück.

Textwelten – Der Betroffenheitsartikel

So, weiter geht es jetzt auch hier in diesem kleinen Projekt mit einer der ekligeren Textformen. Es gibt da im journalistischen Bereich den Betroffenheitsartikel. Der ist relativ nett, aber stilistisch von einem Groschenroman nur daran zu unterscheiden, wo er abgedruckt wird. Hart am Boulevard, immer mit der Behauptung der Relevanz, und der kruden Idee, dass die Personalisierung und Emotionalisierung sozialer Probleme dazu führt, dass Menschen sie besser verstehen und vielleicht sogar in der Intention des Autors handeln. Es ist also eine hoch-manipulative und zutiefst predatorische Textsorte. Zum einen müssen ja Beispiele her, an denen das Problem gezeigt wird, zum anderen wird hier nur die gefühlte Realität der Menschen angesprochen. Doch, wie auch zuvor schauen wir uns mal ein Beispiel an. Da diese Textsorte mehrere Abschnitte hat, gibt es das auch abschnittsweise.

Die Finger fallen schwer auf die Tastatur des silbernen Notebooks. Der Blick ist angestrengt auf den Monitor gerichtet. Die kurzen Sätze sind wichtig. Sie beleidigen nicht nur die Intelligenz der Leserschaft sondern sollen Dramatik erzeugen. Eine Dramatik, die keiner wirklich braucht. Der Autor spürt die Macht der Manipulation und genießt sie.

Der Stil, der hier gepflegt wird, ist aus meiner Sicht zutiefst manipulativ und würdigt den Leser herab. Es geht hier nicht um die Vermittlung von Inhalten oder eines Standpunktes, sondern um das Erzeugen von Betroffenheit als Gefühl. Der Glaube, dass dies die Leserschaft besser zugänglich für das Thema macht, oder gar die Idee, dass sie deswegen das Phänomen besser verstehen kommt aus der selben spannend-verwirrten Annahmenwelt in der Lehrer voraussagen können, was ihre Schülerinnen und Schüler verstehen, ohne das mal getestet zu haben. Diese Ideen sind verstörend arrogant und diese Art von Text ist es auch. Man soll emotional manipuliert werden, damit sich dann auch schön eine zumeist einseitige Botschaft festsetzen kann.

Das Problem hierbei ist, dass das alles von einer schlechten literarischen Kurzgeschichte nicht zu unterscheiden ist, und sich die Frage stellt, warum sowas überhaupt produziert wird. Wenn das Problem gesellschaftlich relevant ist, dann steht es für sich allein, wenn es das nicht ist, warum wird hier Lebenszeit von Leserinnen und Lesern verschwendet?

Die zweite Seite dieser Art von Text ist, dass es hier auch immer um Personen geht. Das bedeutet es werden zumeist Schicksale vermittelt. Das wiederum heißt, dass es auch Menschen geben muss, die diese erlebt oder produziert haben. ((Das ist ja schließlich Journalismus, da kann man sich die nicht einfach wie in der Literatur ausdenken. Okay, man lässt dann alles weg, was nicht passt, aber das ist natürlich nur zulässige Zuspitzung.)) Und deren Geschichten erscheinen dann überall und sie müssen sie erzählen. Dabei ist für den Autor vollkommen egal, wie es der Person dabei geht. Hauptsache es gibt den Betroffenheitseinstieg. Und der ist gar nicht so wichtig, weil es geht ja angeblich um den Inhalt.

Wie so viele Autoren hat auch diese/r das Problem, dass er/sie glaubt relevante Inhalte nur an die Frauen und Männer zu bringen, in dem es eine emotionale Ansprache gibt. Laut Prof. Pummeluff scheint das nicht nur ein Gefühl der eigenen Relevanz zu geben, sondern auch die Illusion der eigenen Wichtigkeit. Er sagt, dass diese meist dadurch bestärkt wird, dass Menschen aufgrund der emotionalen Ansprache die Qualität des Textes als höher und relevanter einstufen, als sie tatsächlich ist. Er nannte dann zum Beispiel die Arbeit von Prof. Raichu und Prof. Woingenau, die beide die These vertraten, dass diese Artikel ein Zeichen von Narzissmus und übermäßiger Selbsteinschätzung waren, die wiederum meist eine Kompensation zu Grund hatten.

Okay, jenseits der dreifachen ironischen Brechung, geht es im zweiten Teil des Textes auf einmal um ein wirkliche soziales Problem. Das soll der eigentliche Aufhänger sein, steht aber dank der ganzen persönlichen Laberei am Anfang nicht mehr im Mittelpunkt und wird in seiner sozialen Tragweite auch gar nicht reflektiert, denn das Beispiel grenzt die Menge an erzählbaren Informationen ein. Die volle Breite des sozialen Problems ist vor der Folie einzelner Geschehnisse und Schicksale eben nicht mehr erklärbar. Im verzweifelten Versuch der besseren Ansprache wird eine vollständige Erklärung des Phänomens geopfert. Nun kann man sagen, dass das bei journalistischen Texten soundso immer der Fall ist, aber erstens ist das unehrlich und zweitens entsteht aus einer fragwürdigen Praxis keine Selbstlegitimierung. Wir verbrennen ja auch keine rothaarigen Menschen mehr, weil das früher zu besseren Ernten geführt haben soll. Es könnte also überlegt werden, ob es denn überhaupt persönliche Betroffenheit als Vehikel für die Vermittlung gesellschaftlich relevanter Inhalte braucht und wie bei allen rhetorischen Fragen ist die Antwort auf diese auch schon vorher klar und lautet: nein.

Am Ende bleibt wieder festzuhalten, dass hier Relevanz durch soziale Konstrukte hergestellt wird, anstatt durch Inhalt. Diesmal ist es im Gegensatz zum ersten Beispiel dieser Serie reine emotionale Manipulation und nicht ein angeblich neutraler Stil. Das Persönliche wird als Mittel benutzt um etwas Sachliches zu erzählen und der Text verliert dabei seine komplette Legitimität und Relevanz. Wenn es nur noch um die gefühlte Realität geht, dann ist der Wahrheitsgehalt egal und damit sämtliche Ziele, die vielleicht zur Entstehung des Textes geführt haben, entwertet.

Über Explosionen, Amokläufe und Geschichten…

Seit ungefähr zwei Wochen scheint die Welt aus allen Fugen. Scheint. Die Welt ist nie gut, sie war es nie und wir Menschen sind daran ursächlich schuld. Soweit die depressive Realitätseinschätzung. Doch in Deutschland ist erst seit drei Wochen die Welt nicht mehr in Ordnung. Ungefähr seit wir gegen Frankreich aus der WM rausgeflogen sind.

Von da an ging’s bergab mit der Welt. Jedenfalls aus der Sicht der Mehrheitsgesellschaft. Erst Nizza, dann Militärputsch in der Türkei inklusive großem Aufräumen des Staatspräsidenten, dann Axtangriff in Würzburg, Amoklauf in München, heute Explosion in Ansbach. Das schöne heile Leben ist medienwirksam erschüttert worden. Die Welt wird nicht mehr verstanden, am besten daran zu sehen, wie bei der Sache in München die Tagesschau und das heute journal einmal geschlossen durchdrehen, nur damit sich danach rausstellt, das whopping 80% der geäußerten Theorien (Islamismus, Terror, Anzahl der Täter…) kompletter Quatsch waren.

Wenn wir eigentlich was hätten faktisch lernen sollen, dann ist es, dass unsere Polizei gut arbeitet und dass die Zivilbevölkerung gut reagiert. Die Kopflosigkeit aus anderen Ländern

Aber das ist langsam scheißegal.

Wir brauchen uns gar nicht erst damit beschäftigen, dass das alles Quatsch war, dass es da draußen Fakten gibt. Es geht hier nur noch im die Geschichte. Und weil man sich in einer Welt voller Geschichten am besten mit Literaturwissenschaft kratzt, schauen wir uns mal an, wie gut die Geschichten sind.

Los geht es mit Nizza. Ein Traum aus der Horrogeschichtenbude. Wir haben alle klassischen Möglichkeiten ausgeschöpft, die Angst erzeugen: Schusswaffen und Bomben sind doch nun ein alter Hut. Jetzt fährt jemand Amok und juhu, eine neue Dimension des Horrors, als sei es geskriptet worden. Und natürlich brauchen wir Videos von vor Ort und so weiter. Damit wir auch wissen, wie schlimm der Terror ist. Da wird dann sofort erzählt, dass es der IS ist, der sich zu allem dann auch automatisch bekennt. Ein klassischer Bösewicht, ein besonderer Modus operandi, alles super. Da kann man nochmal eine alte Story neu aufkochen.

Dann kam der Militärputsch. Hier ist jetzt schon schwierig, wer da der Böse und der Gute ist. Immerhin schreiben wir Erdogan die ganze Zeit als Demokrator runter, gleichzeitig ist der nunmal gewählt und wir in der „Flüchtlingskrise“ auf ihn angewiesen. Also, einmal abwarten und dann so tun, als wäre die Demokratie gerettet, weil Erdogan an der Macht geblieben ist. Man hätte das Gegenteil erzählt, wenn das Militär gewonnen hätte. Hauptsache wir waren immer auf der richtigen[™] Seite.

Würzburg, Ansbach und München sind dreimal dieselbe Geschichte. Menschen, die aus verschiedenen Gründen unzurechnungsfähig sind, üben Gewalttaten aus. Diese werden dann unter kompletter Ignoranz als Geschichten der Betroffenheit gestaltet. Natürlich nicht für die wirklich betroffenen Personen, sondern für die Mehrheitsgesellschaft, die a) nicht direkt betroffen und b) wahrscheinlich sogar ein Teil der Ursache des Problems ist. Aber die Geschichte ist natürlich die des verrückten Einzeltäters. Es ist wichtig, dass er nicht zu uns gehört, obwohl jeder durchknallen kann und dass es natürlich ein Versagen der Normalität ist, und nicht die Normalität. Es hat nichts mit uns zu tun und wenn die Person am Ende der Geschichte tot ist, gibt es keine Konsequenzen und man kann in Ruhe zum Freitagabendkrimi übergehen.

Es geht nur noch um die Geschichte: der islamistische Terror ist eine, die Demokratie zu retten, in dem man sie abschafft, die nächste und der verrückte Einzeltäter, der einfach so durchknallt, die nächste.

Denn nach solchen Geschichten kann man weiter in Ruhe schlafen, ohne sich je die Frage zu stellen, ob die Welt eben generell nicht in Ordnung ist.